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Wie ein Überfall: Brutale Polizei-Aktion

■ Ohne jede Ankündigung rissen Bremerhavener Beamte eine tamilische Familie aus dem Schlaf und brachten sie zum Flughafen / Vater war in Lebensgefahr / Anwalt: „Riesenschweinerei“

Im Morgengrauen um 5 Uhr 30 holte die Bremerhavener Polizei eine fünfköpfige tamilische Familie aus ihrer Wohnung in der Buschstraße 4 c und brachte sie nach Bremen zum Flughafen. Das Ziel: Co-lombo, Sri Lanka, via Amsterdam. Abschiebung.

Was am vergangenen Mittwoch in Bremerhaven geschah, sei eine „Riesenschweinerei“, so Rechtsanwalt Günter Werner über die Aktion. Denn die Polizisten holten die völlig verstörten Eltern und ihre drei minderjährigen Kinder ohne jede Ankündigung aus dem Schlaf. Üblich ist, dass der Termin der Abschiebung – der Asylantrag der tamilischen Familie war im Mai 2000 abgelehnt worden – vorher bekannt gegeben wird. In diesem Fall ahnte die Familie nichts. Dabei ist der Vater der Familie Asthmatiker – und Aufregung kann einen Anfall hervorrufen, der für Kathiran P. lebensgefährlich ist. Das aber wusste die Bremerhavener Behörde. Anwalt Werner hatte im März für seinen Mandanten ein ärztliches Attest geschickt.

Zwei Tage vor der Aktion, am 7. Mai, war die Familie noch bei der Ausländerbehörde gewesen. Auch um die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise hatte sich die Familie auf Aufforderung der Behörde gekümmert: Im März hatten sie bei der srilankischen Botschaft in Berlin um ein Ausreisepapier gebeten, was von Sri Lankas Seite die Voraussetzung für die Rückkehr ist.

Als die Familie dann am 7. Mai beim Bremerhavener Amt vorsprach, sei ihnen erklärt worden, das beantragte Ausreisepapier sei noch nicht eingetroffen, sonst sei alles in Ordnung. Aber als diese Szene spielte, war die Abschiebung längst geplant – so hat es der Anwalt inzwischen erfahren. Dabei habe das Amt ihm persönlich in einem Telefonat noch versichert, dass man der seit 1996 in Deutschland lebenden Familie natürlich Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise geben werde.

Als Erklärung für die Hauruck-Aktion sei dem Anwalt gegenüber gerade die Erkrankung des Vaters angeführt worden: Denn der hätte sich noch mehr aufgeregt, wenn ihm die Abschiebung angekündigt worden wäre, so die Amtsargumentation. Gegenüber der taz halten sich die Verantwortlichen bedeckt. Horst Keipke, Leiter der Verwaltungspolizei in Bremerhaven erklärt: „Natürlich waren die Betroffenen informiert, dass sie zur Ausreise verpflichtet sind.“ Über Details könne er nichts sagen, ergo auch nicht dazu, ob die Familie P. über den Termin informiert war. Außerdem, betont Keipke, habe die ganze Aktion ein Arzt begleitet. Auch die deutsche Botschaft in Sri Lanka sei angewiesen, sich um ärztliche Betreuung des Vaters nach der Ankunft der Familie zu kümmern.“

Anwalt Günter Werner sagt dazu, er habe erwogen, Strafanzeige gegen die Behörde zu erstatten. „Aber das lasse ich bleiben, weil sie den Arzt mitgeschickt haben.“ Werner hat noch am 9. Mai beim Bremer Verwaltungsgericht ein sofortiges Verbot der Abschiebung per einstweiliger Anordnung beantragt. In seiner Begründung verweist er unter anderem auf einen laufenden Antrag auf Duldung der Familie wegen des Vaters Asthma, auf den die Behörde nicht reagiert habe.

Schließlich bezieht sich der Rechtsanwalt auf einen ähnlich gelagerten Fall von versuchter Abschiegung in diesem Februar. Hier hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) der Bremerhavener Ausländerbehörde erklärt: Es sei doch klar, „dass der Grad der psychischen Belastung, der von einer Abschiebung ausgeht, nicht zuletzt von deren konkreter Durchführung abhängt.“ Die Behörde, so der Beschluss weiter, habe auf den Gesundheitszustand der Betroffenen „Rücksicht zu nehmen“. Das heiße auch, dass ihnen „ausreichend Gelegenheit gegeben wird, sich auf sie einzurichten.“ In dem Fall vom Februar hatte die Nachricht der bevorstehenden Abschiebung die Menschen – immerhin – fünf Tage zuvor erreicht. Sogar das war dem OVG damals zu wenig.

Bei der Familie P. allerdings billigte das Gericht das Vorgehen – wenn auch mit der Anmerkung, dass es nicht ganz sauber, aber jetzt eben gelaufen sei, berichtet Günter Werner.

Der Internationale Menschenrechtsverein Bremen hatte am vergangenen Mittwoch alle Hebel in Bewegung gesetzt, der Familie doch noch zu helfen. Den Abflug aus Bremen konnte aber nicht verhindert werden. Doch in Amsterdam waren Menschenrechtsvertreter am Flughafen, die die niederländischen Behörden fast in letzter Minute – eine halbe Stunde vor dem Weiterflug nach Colombo – von der Not der Familie P. überzeugen konnten. Jetzt haben sie in einem niederländischen Flüchtlingscamp Zuflucht gefunden. Nach Informationen des Menschenrechtsvereins hat der Vater die Vorgänge ohne lebensgefährdenden Anfall überstanden. Die Aussicht der Familie P. auf Asyl in den Niederlanden beurteilt Viraj Mendis vom Verein als nicht schlecht. Sonst hätte man die deutsche Amtshandlung der Abschiebung nicht unterbrochen und die Familie aufgenommen.

Die Klassenkameraden der zehnjährigen Sintjuha P. haben am Tag der überfallartigen Aktion sofort einen Brief an Noch-Innensenator Bernt Schulte (CDU) geschrieben – noch ohne Resonanz aus seinem Haus. „Wir vermissen sie sehr“, schreiben die Kids an den Senator, „könnten Sie dafür sorgen, dass Sintjuha und ihre Familie bleiben dürfen?“ Eine Frage, mit der Schultes Nachfolger Kuno Böse sich zu befassen haben wird. Dürfen sie? Angesichts der deutschen Asylpolitik wohl kaum, aber darum geht es inzwischen auch nicht mehr, meint Menschenrechtsvertreter Mendis: „Wahrscheinlich hat Familie P. nach dieser Behörden-Aktion jedes Vertrauen in dieses Land verloren. Also muss die Frage lauten, ob sie überhaupt zurücckehren wollen.“

Susanne Gieffers

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