: Guck ma, Maikäfer!
■ Lange war er fast ausgerottet, jetzt ist der Sumsemann wieder da: Verzückung bei den Alten über das Wiedersehen, die Jüngeren müssen sich noch an ihn gewöhnen
Da geht die Mama richtig steil. Ein entrückter Aufschrei, sie bückt sich und bildet mit Papa eine Mini-Menschentraube auf dem Trottoir. Verzücktes Staunen, als wäre gerade Madonna in Arm mit Henning Scherf durch die Contrescarpe spaziert: „Guck ma', Maikäfer. Wie süüühuus!“ Da liegt er auf dem Rücken, dumpf brummend, zappelnd, hilflos. Zwei, drei Zentimeter groß. Ein braunes Käferchen halt, irgendwie eklig. Der Sumsemann. Kenn' ich nicht. Fast wäre ich drauf getreten.
Dann fängt der Papa an, von den Stars seiner Jugend zu schwärmen: In Zigarrenkisten habe er sie gepackt, gesammelt und damit angegeben wie wir weiland mit unserer Matchbox-Auto-Sammlung. Die dunkleren hießen „Schornsteinfeger“, die helleren „Bäcker“. Nanu! Der Maikäfer – ein dufter Spielkamerad? Reinhard Mey sang „Es gibt keine Maikäfer mehr“, Heinz Rudolf Kunze schon „Maikäfer schrei, ich reiße dich entzwei.“ Und ich konnte Maikäfer noch nie wirklich von Marienkäfern unterscheiden. Da muss mit den Jahren ein mordsmäßiger Paradigmen-Wechsel in der Maikäfer-Rezeption vonstatten gegangen sein.
Volltreffer, so ist es: Die Archive erzählen sie stapelweise, die Maikäfer-Geschichten. Der braune Brummer muss früher irgendwas zwischen Kult und Hass gewesen sein. Noch in den 30er Jahren sollen fussballfeldgroße Schwärme die Sonne verfinstert haben. Weil es so viele wie Ameisen gab, wurden sie sogar an die Hühner verfüttert! Bei Maikäfer-Plagen meuchelten Maikäfer-Mörder 300 Zentner, sage und schreibe 18 Millionen Krabbeltierchen! Dann waren sie in den 70ern plötzlich futsch, verschwunden von der Bildoberfläche. Tod durch Insektizide.
Dabei hatten sie kaum jemandem etwas getan. Nun ja, der gemeine Maikäfer – Melolontha melolontha – hat eben Hunger. Einige Baumbestände soll er ratzeputz kahlgefressen haben, seine Larven, die Engerlinge, haben sich unter Tage schon durch so manche Wurzel geknabbert, Baumschulen und Gärten vernichtet.
„Jetzt sind sie wieder da“, freut sich Helmut Riemann, Präparator im Überseemuseum. Alles eine Folge des gestiegenen Umweltbewußtseins: Früher wurden sie mit Giftspritzen plattgemacht, heute, so Riemann, „bekämpft man sie mit Pilzkulturen. Das ist ökologisch günstiger.“ In der Nähe von Kluvenhagen habe auch zu schwersten Zeiten immer eine kleine Kolonie überlebt. „Aber jetzt sind sie wieder in der Innenstadt zu finden“, sagt der Insektenexperte.
Ende April, Anfang Mai schwärmen sie aus. Liebslingsorte: Waldesränder, Plantagen, Wiesen und Laubgehölze. Nur bei Nahrungsmangel gehen sie auch in die Nadelbäume, bevorzugt in die Lärche. Dann legen die Weibchen (Kennzeichen: kleinere Fächer-Fühler) ihren ersten Wurf Eier 20 bis 30 Zentimeter tief im Boden ab. Am liebsten in der Nähe von Bäumen, da die Larven von Wurzeln naschen. Die Larve, auch Engerling genannt, überwintert zwei Mal und gräbt sich dann tiefer in den Boden, wo sie sich verpuppt. Nun schlüpfen die Imagos – flugfähige, aber noch nicht geschlechtsreife Tiere – und überwintern das Jahr im Feld. Erst im folgenden Frühjahr schwärmen sie aus, um sich zu paaren.
Ein Maikäferleben ist kurz. Nur vier bis sechs Wochen hat der Sumsemann Zeit, um sich fortzupflanzen. Bevor sich das Männchen auf ein Maikäfer-Weibchen schubbern kann, orientiert es sich erst mal am „Parfüm“, dass die Dame seines Herzens verbreitet. Das sind die Pflanzengerüche, die beim Futtern der Blätter entstehen. Erst wenn der Maikäfer-Mann ganz in die Nähe des Weibchens gekommen ist, riecht er die artspezifischen Sexuallockstoffe – und es kann los gehen.
Zurück zu den Eltern, die sich so freuen, dass die gute alte Maikäfer-Zeit wieder angebrochen ist. Und was tun mit dem Maikäferchen, dass auf dem Rücken liegt? Insektenexperte Riemann: „Ein echter Tierfreund sollte ihn vorsichtig aufheben und auf ein Blatt zurücksetzen.“ Kai Schöneberg
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