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Shop ohne Sound

Fast wäre der Kreuzberger „Soundman Shop“, der weltweit benutzte Mikrofone hervorbrachte, am 27. Mai zwanzig Jahre alt geworden

„Ich habe keine Lust, den Multimedia-Heini zu spielen und einen Arschtritt zu kriegen“

von BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

Es war weltweit der erste Laden für tragbare Abspielgeräte. Und er brachte Originalkopf-Mikrofone hervor, die von BBC London, ABC Sydney, dem ZDF oder DaimlerChrysler genutzt werden. Und von Leuten, die mit dem Mikrofon, das wie zwei Ohrstöpsel aussieht, illegal Konzerte mitschneiden. Der „Soundman Shop“ in der Kreuzberger Urbanstraße war auch ein Begriff in der Musiker- und Technikerszene. Immer wieder wurden neue Kreationen erfunden: eine CD-Duplikationsmaschine, Aktivboxen, die zum laut Musikhören an den Walkman angeschlossen werden können, oder Autohalterungen für transportable Abspielgeräte.

Doch sein 20-jähriges Jubiläum am 27. Mai erlebt der Soundman Shop nicht mehr. Im Februar wurde ein Insolvenzverfahren beantragt. Der Betreiber hatte für seine Angestellten keine Krankenkassenbeiträge bezahlt. Seitdem sind die Rolläden runtergelassen, und viele Kunden, die seit Monaten auf ihre Geräte warten, auf 180. Jetzt, nach drei Monaten Prüfung, steht fest, dass das beantragte Insolvenzverfahren mangels Masse nicht eingeleitet wird. Doch Musiker, die ihre Geräte hierher zur Reparatur gebracht haben, müssen ihre Einbruchsfantasien nicht verwirklichen. Kommenden Dienstag gehen die Rolläden in der Urbanstraße noch einmal hoch, damit abgegebene Geräte – repariert oder kaputt – abgeholt werden können.

Gegründet hat das Geschäft 1981 Rolf Ruff, damals BWL-Student. Nachdem er mit geborgtem Geld von Freunden und Bekannten angefangen hatte, machte er in kurzer Zeit einen Umsatz von 10 Millionen Mark und beschäftigte schließlich 20 Angestellte. Doch vor drei Jahren verkaufte der 47-Jährige den Laden. Erklärte er damals Zeitungen gegenüber, die Kundschaft habe abgenommen, schimpft er jetzt über die Behäbigkeit und Ignoranz in Berlin in Sachen Multimedia.

Erst scheiterte die Einstellung eines stark sehbehinderten Technikers, eines profilierten Mikrophonspezialisten, fast am Schneckentempo des Arbeitsamts (taz berichtete). Später, so klagen Ruff und seine Frau Nihal, die die Originalkopfmikrofone zusammen mit ihrem Mann entwickelte, seien sie ungewöhnlich oft von Steuerprüfern behelligt worden. „Wir empfanden es als unerwünscht, so schnell gewachsen zu sein“, sagt der gelernte Bankkaufmann Rolf Ruff. Zeitweise hätten sie Termine auf internationalen Messen nicht wahrnehmen können, weil sie mit dem Schleppen von Ordnern für die Prüfer beschäftigt waren. Außerdem seien Reisekostenabrechnungen von Geschäftsreisen zu internationalen Messen als verkappte Sightseeingtouren angesehen worden.

Weil die Ruffs keine vernünftige Erklärung für diese Schikanen haben, glauben sie, dass die türkische Herkunft von Nihal Ruff eine Rolle spielen könnte. „Türkin und innovativ sein, scheint vielen nicht zu passen“, sagt die selbstbewusste Frau. Als sie schließlich ihren GmbH-Sitz in einer Fabriketage in der Zossener Straße aufgeben mussten – wegen giftiger Dämpfe aus einer Lackiererei –, verkauften sie den Soundman Shop an einen ehemaligen Mitarbeiter. Den Vertrieb ihrer Mikrofone innerhalb Deutschlands, in England, den Niederlanden, in Schweden und den USA wickelten sie über das Internet ab.

Die Schließung des Ladens geht den beiden nahe. „Schade, dass es so zu Ende gegangen ist“, sagt Rolf Ruff. Nach seiner Ansicht ist der jetzt gescheiterte Betreiber ein „netter Kerl“, der zwar viel Geld von Mama und Papa, aber keine Ahnung von Management gehabt hat.

„Die ganze Stadt würde uns zu Füßen liegen, wenn wir den Soundman Shop wieder eröffnen würden“, sagt er selbstbewusst. „Es war das traditionellste und kompetenteste Fachgeschäft in Europa.“ Doch er und seine Frau haben dazu keine Lust mehr. Zu tief sitzen ihre Enttäuschungen von Berlin als vermeintlicher Multimediahauptstadt. Statt Fördergelder zur Weiterentwicklung ihrer Produktpalette oder offener Ohren für ihre Multimediavisionen habe es nur Ignoranz gegeben. Als sie ihre Duplikationsmaschine Anfang der 90er-Jahre bei der Landesbank vorstellten – da fing das CD-Brennen an –, sei ihnen von einem Herrn vom Vorstand gesagt worden: „Das steht doch eh bald bei Karstadt.“

Nach dem Verkauf des Soundman Shop eröffneten Rolf und Nihal Ruff die „kopier-Bar“ in der Rosenthaler Straße in Mitte. Dort werden Aufnahmen von CDs, Kassetten oder alten Schellackplatten auf CDs gepresst, regelmässig treten Musiker auf und schneiden ihre Konzerte mit. Weil viele Musikschaffende außerhalb der normalen Geschäftszeiten kreativ sind, konzipierten sie den Laden als Multimediabar. Doch wieder wurde ihr Elan gebremst. Über ein Jahr mussten sie auf eine Ausschankgenehmigung warten, klagen sie. Als sie in der Wartephase eine amerikanische Band zu Besuch hatten und ihnen etwas anboten, kam die Polizei. „Man kann doch ausländischen Besuchern nicht den Hauptmann von Köpenick in die Hand drücken!“, schimpft Rolf Ruff.

Seine Frau erzählt, vom Gewerbeamt hätten sie sich anhören müssen, dass ihr Mann wegen einer geringen Summe Steuerschulden „charakterlich nicht geeignet“ sei und sie als Inhaberin „nur als Strohfrau“ fungiere. „Als müssten Türken immer nur Döner- oder Gemüseläden haben“, stimmt sie in das Klagelied ihres Mannes ein. Als besonderen Affront empfand sie den Besuch von Vertretern des Wirtschaftamtes, die eine Dolmetscherin für sie mitbrachten – dabei lebt die 40-Jährige seit ihrem 14. Lebensjahr in der Bundesrepublik, studierte einige Semester Jura und spricht so gut wie perfekt Deutsch.

Innerlich haben sich die Ruffs aus Berlin verabschiedet. „Wir können nicht Ignoranten erzählen, was wir machen wollen.“ Die „Revolution auf dem Musikmarkt“, die sie einst planten, ist auf Eis gelegt – zumindest in Deutschland. All die vielen Artikel in der in- und ausländischen Presse über die kopier-Bar hätten Berlin jede Menge kostenlose Publicity gebracht – doch genutzt habe sie ihnen wenig. So hat Rolf Ruff, der nur noch als Berater fungiert, kürzlich dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen und dem Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner einen Korb gegeben, als sie ihn auf eine Reise zu einer großen Multimediafirma im Ostblock mitnehmen wollten. „Ich habe keine Lust mehr, den Multimedia-Heini zu spielen und dann nur in den Arsch getreten zu werden.“ Ruffs bitteres Fazit: Außer in Schwaben – von dort stammt er – könnten er und seine Frau nur in den USA oder in Asien ihre Vorstellungen verwirklichen.

Um ihre Fühler noch mehr in Richtung Ausland auszustrecken und um sich verstärkt um den internationalen Vertrieb ihrer Produkte zu kümmern, suchen die Ruffs jetzt Leute, die die kopier-Bar abends betreiben wollen. Außerdem wollen sie mehr Zeit für ihre drei Kinder haben.

Dann kann sich die ganze Familie vielleicht bald den Ariane-Start im 3-D-Verfahren im Cinemaxx ansehen und den Früchten ihrer eigenen Arbeit lauschen – der Ton wurde mit den von den Ruffs entwickelten Mikrofonen aufgenommen.

Am 26. Mai findet in der kopier-Bar, Rosenthaler Str. 71, „The good old times“-Beerdigungsparty für Soundman-Shop-Fans mit Musik aus den 80ern statt. Als DJ legt der fast blinde ehemalige Angestellte des Soundman Shop auf.

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