: Fremder Planet Kunsthalle
Erik van Lieshout rappt in Ghana, Elke Krystufek leidet daheim: Rita Kerstings gelungener Einstand in Düsseldorf mit der Ausstellung „Zero Gravity“ beweist, dass der Generationswechsel in Deutschlands Kunstvereinen erfolgreich vollzogen wurde
von MAGDALENA KRÖNER
Vor 150 Jahren waren die Kunstvereine schnörkelige Bauten, in denen sich eine Hand voll ambitionierter Bürger an die Vermittlung lokaler Kunst machte und dabei auf breite Unterstützung in der Bevölkerung hoffen konnte. Spätestens Ende des letzten Jahrhunderts schwankten die meisten der rund 60 deutschen Kunstvereine, geschwächt noch durch schrumpfende kommunale Etats, in Ausrichtung und Leistungsfähigkeit. Ganz zu schweigen vom Kontakt zur Basis.
Im Jahr 2001 scheint plötzlich wieder Hoffnung zu bestehen. Wohin man schaut, ob nach Hamburg, wo Yilmaz Dziewior Stephan Schmidt-Wulffen abgelöst hat, ob zu Doris Berger nach Wolfsburg, Stephan Berg in Hannover bis hinunter nach Stuttgart zu Andreas Jürgensen – frischer Wind weht durch Kunstvereine bundesweit. Jüngstes Beispiel: Rita Kersting, die mit der Gruppenausstellung „Zero Gravity“ ihren Einstand als neue Kunstvereinsleiterin in Düsseldorf gibt.
Die 1969 geborene Kunsthistorikerin, die vor drei Jahren am Kölner Museum Ludwig mit Jochen Poetter „I love N. Y.“ konzipierte und zuletzt wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Krefelder Museen war, löst Raimund Stecker nach acht Jahren ab. Ihm war es gelungen, dem Kunstverein mit publikumsträchtigen Schauen von Berenice Abbott oder Eugène Leroy aus den roten Zahlen herauszuhelfen, was nicht unbedingt für ein klares Profil der künstlerischen Ausrichtung sorgte. Ausflüge an die umliegenden Akademien brachten Ausstellungen wie „mode of art“ oder „Schnitt 2000“ hervor, die den Kontakt zur jungen Kunstszene der Region belegen sollten, ohne aber nachhaltig überzeugen zu können.
Interessant ist nun, dass „Zero Gravity“, obwohl als Schau konzipiert, die, so Kersting, „das Fehlen eines kollektiven Ausgangs- und Anziehungspunktes“ verhandelt, ebendies leistet: Sie verweist auf Trends und spiegelt verbindende Strömungen. Zusammen mit Anette Freudenberger, die zuvor im Kölner Schnitt-Raum engagiert war, hat Kersting 18 internationale Künstler versammelt, unter denen Jakob Kolding ebenso ist wie Martin Kippenberger oder Wolfgang Tillmans. Das eigentlich absurde Unternehmen, die Abwesenheit von etwas zu belegen, führt aber nicht, wie man vermuten könnte, zu einem zersplitterten Kaleidoskop, sondern erweist sich als stringente Klammer.
Ausgehend von Hans-Peter Feldmanns Collage „Fliegende Menschen“, die das Ausstellungsmotto 1:1 übersetzt, über Pae Whites traumhaft leichte Installation „Aviary“ oder Wolfgang Tillmans „Supercollider“, in denen er Lichteinflüsse auf Fotopapier bannt, operieren einige Positionen mit ästhetischer Schwerelosigkeit. Doch es gibt auch überraschende Fälle von Erdanziehungskraft, wie die flüssige, in steter Bewegung bleibende „Zucker“-Installation von Heike Bayer beweist oder das wie ein Meteorit eingeschlagene „Raumschiff“ Björn Dahlems. Zu einer Landung auf dem fremden Planeten Kunsthalle kommt es durch Martin Kippenberger, dessen Installation „Brasilien aktuell“ und die „Psychobuildings“-Fotoreihe erstmals (!) in Düsseldorf gezeigt werden.
In diesem Zusammenhang erweisen sich Arbeiten am lebendigsten, die kurz vor dem Aufschlagen auf den Boden zu verharren scheinen; die den gesellschaftlichen Konsens, die eigene Grenze oder die ästhetische Unversehrtheit des gebauten Raumes überschreiten. Elke Krystufeks peinigend intime Selbst- und Weltreflexionen gehören ebenso dazu wie Nicole Wermers Anti-Architekturmodelle, die Zerstörung und Vergänglichkeit im Kleinen zeigen und funktionale Kontexte außerhalb der Kunst reflektieren. Erik van Lieshouts „Lariam“ ist nach Ghana gereist, um rappen zu lernen – mit Afroperücke, schwarz bemaltem Gesicht und goldenen Jacketkronen voller Dollarzeichen. In einem reißerisch als Fernsehdokumentation gefilmten Video begibt sich der Rotterdamer Künstler, der alle Register von Puff Daddy bis Ice Cube zieht, als singender Superstar in eine Situation, die jeden Moment die Gefahrenzone überschreiten könnte. Oder ist alles nur ein Spiel? Zwischen intelligenter Konstruktion und aktiver Dekonstruktion schillern die Positionen, ohne dabei in einen modischen Lounge-Duktus zu fallen, der sich gegenwärtig in Museen und auf Biennalen breit macht.
Mit Ablösung einer teils über viele Jahre hinweg sich selbst institutionalisierenden Garde könnten die Kunstvereine wieder zu Schnittpunkten von junger, lokaler Szene, ihren internationalen Agenten und dem Publikum vor Ort werden. Hier kommt einer viel reisenden Community vielleicht das Verdienst zu, dass es nicht mehr von Bedeutung sein wird, ob ein Künstler aus Düsseldorf oder aus Afrika stammt. Um den Wandel auch nach außen zu repräsentieren, legt man selbst bei kleinen Budgets viel Wert auf die äußere Umgestaltung: In Hamburg hat Yilmaz Dziewior das Architektenduo „Internat“ zum Umbau des Foyers eingeladen, und Rita Kersting erlaubt es der Düsseldorfer Gruppe „rheinflügel“, gleich das ganze Haus neu zu gestalten. Inhaltlich formuliert die neue Generation durchaus unterschiedliche Schwerpunkte: Bei Kersting liegt das Interesse in Performance und Architektur, Dziewior reflektiert die Ausprägungen einer „nichtwestlichen“ Kunst und sucht interdisziplinäre Ansätze. In beiden Fällen könnte es deshalb bald wieder heißen: Der Kunstverein macht auf, und alle gehen hin.
„Zero Gravity“, bis 17. 6., Düsseldorf
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