Hassobjekt Treuhand

Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder war kein eiskalter Abwickler. Aber er war Symbolfigur für die soziale Härte im „Beitrittgsgebiet“

BERLIN taz ■ Es war kalt im Februar 1991 auf dem Berliner Alexanderplatz, als hunderte Nochbeschäftigte der DDR-Fluggesellschaft Interflug auf ein Zeichen der Erlösung warteten. Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder versagte es ihnen. Keine Zusage für weitere Unterstützungsmillionen, kein Käufer für die Ostfirma in Sicht. Ein Jahr später standen dann mehr als 2.000 Piloten, Mechaniker und Stewardessen ohne Arbeit da.

Hiobsbotschaften für Beschäftigte von DDR-Firmen gab es damals fast täglich. In den acht Monaten (August 1990 bis April 1991), in denen Rohwedder die größte Holding der Welt leitete, waren die Treuhand-Büros am Alex das wohl frequentierteste Demonstrationsziel im gerade wieder vereinigten Deutschland. Egal, was die Treuhand machte – sie diente als Hassobjekt. In den Antworten auf die Umfrage einer Nachrichtenagentur kurz nach Rohwedders Ermordung Anfang April 1991 fiel denn auch die Haltung eines frustrierten Desinteresses auf. Ob der Treuhand-Chef nun tot sei oder nicht – darauf komme es jetzt auch nicht mehr an, meinte mancher Ostberliner. Kurz vor den tödlichen Schüssen hatte Detlev Rohwedder von dem „Tornado der Kritik“ gesprochen, der ständig über ihn hinwegfege. Die Treuhand empfand er „als Watschenmann der Nation“.

Dabei war Rohwedder (Jahrgang 1932) sicher nicht der brutalstmögliche Kapitalist. Seit 1969 Mitglied der SPD, handelte er als Unternehmer mit gewissen sozialen Ansprüchen. Als Vorstand des Stahlkonzerns Hoesch reduzierte er zwar die Belegschaft um fast die Hälfte, doch er tat dies im Rahmen eines mehrjährigen abgestuften Plans. Die von der Entlassung Betroffenen konnten mit Hilfe rechnen.

Nach einigen Monaten bei der Treuhand zeigte Rohwedder sich bereit, von seinen ursprünglichen Prinzipien etwas abzuweichen. Bei der Treuhand waren Rohwedders Prioritäten anfangs klar definiert. Erstens: Privatisierung und Verkauf der rund 8.000 DDR-Betriebe, die die Treuhand im Auftrag der Bundesregierung verwaltete, an Westkonzerne. Zweitens, nur wenn gar nicht anders möglich: die Sanierung eines Ostbetriebs in der Hand des Staates. Je länger sich die Privatisierung aber hinzog, je mehr Arbeitsplätze verloren gingen, desto mehr rückte ein Ziel in den Vordergrund, das später „Erhalt der industriellen Kerne“ hieß.

Gemessen an den Erwartungen der DDR-Bevölkerung musste die Treuhand trotzdem scheitern. Nachdem am 1. Juli 1990 die Westmark in der Ostzone eingeführt wurde, verloren die DDR-Kombinate mit einem Schlag einen großen Teil ihrer Abnehmer. Russische Staatskonzerne wollten in Rubel bezahlen, nicht in D-Mark. Der Kollaps zwischen Stendal und Frankfurt/Oder war unter diesen Umständen objektiv nicht aufzuhalten – es sei denn, die alte Bundesrepublik hätte sich mit Billionen Mark verschuldet. Im Januar 1991 hatten schon rund 750.000 DDR-Malocher ihre Lebenzeitstellen verloren. Zwei Millionen Leute arbeiteten kurz. Kombinate, die zehn Prozent ihrer Belegschaft über die Runden retteten, hatten noch Glück. Viele Betriebe mussten dichtmachen, was im Treuhand-Jargon „Abwicklung“ genannt wurde.

Auch im Westen artikulierte sich Verbitterung über die Treuhand-Politik. IG-Metall-Chef Franz Steinkühler bezeichnete Rohwedders Verwaltung als „Schlachthaus“. Und die Linke, soweit sie die Wiedervereinigung überhaupt zur Kenntnis nehmen wollte, pflegte eine über weite Strecken feindliche Haltung. In vielen westdeutschen Großstädten gab es „Bündnisse gegen die Wiedervereinigung“, die vornehmlich den kapitalistischen Wirtschaftsimperialismus anprangerten.

An diese Stimmungen versuchte die RAF auf ihre Art anzuknüpfen. Im Rechtfertigungsschreiben nach dem Mordanschlag hieß es, für Kapitalisten vom Schlage Rohwedders „zählten Menschenleben nichts“. HANNES KOCH