: Nichts macht man besser
Der Zustand der Faulheit kann zur Qual werden. Die Fäden zum normalen Leben reißen und ein Abend mit Stefan Raab hilft nur, das Warten zu ertragen. Fleißig sein lohnt sich aber auch nicht
von JOCHEN SCHMIDT
Wie viel Kummer bliebe manchen Menschen erspart, wenn sie nicht so faul wären, dass sie nur noch flippern können. Darüber, wie gut sie das können, müssen sie sich ganz alleine freuen. Abends gehen sie mit der zweifelhaften Befriedigung nach Hause, allein in der Bestenliste zu stehen, wenn auch nur mit drei Buchstaben. Ihr Leben war sowieso vergeudet, aber wenigstens haben sie noch 10 Millionen Punkte geschafft. Zu Hause warten Formulare der Barmer, bis morgen auszufüllende Wohngeldanträge, abgelaufene Personalausweise, ein angefangener Geburtstagsbrief an die Mutter, die verdammte Semantik-Hausarbeit vom vorvorigen Semester und ein verschimmelter Brotkanten. Sofort übermannt sie die Faulheit und sie können sich nur noch aufs Bett fallen lassen, das Laken liegt irgendwo, wer brächte die Kraft auf, es jeden Morgen neu zu spannen?
Manchmal nehmen sich diese Leute am Sonnabend vor, dass alles anders wird. Sie schmeißen die alten Zeitungen weg, waschen die Wäsche, kochen sich eine Reispfanne und gucken abends mit gutem Gewissen „ran“. Schlimm nur, wenn sie schon am Freitag aufgeräumt haben, damit sie am Sonnabend mal die Zeit haben, etwas Schönes zu machen. Dann sitzen sie morgens trübe da, stoßen vom Frühstück auf, das sich auch nicht ewig in die Länge ziehen lässt, und versuchen, nicht schon am Vormittag ans Flippern zu denken.
Vielleicht sollten sie sich im Internet an irgendeine Bewegung versteigern, die noch einen Märtyrer braucht, aber mit Internet kennen sie sich nicht so aus. Wenn sie den Fernseher anmachen, hören sie einen Starfriseur in einer Talkshow sagen: „Das Leben ist keine Generalprobe. Man lebt nur einmal und darf nichts auslassen.“
Solche Sätze schlagen ihnen auf den Magen wie ein Damoklesschwert. Wenn es sogar schon die Friseure erkannt haben, wird wohl was dran sein. Und sie, die sie nie Harald Juhnke die Haare gewaschen haben? Ist ihr Leben nur eine Generalprobe, nach der das Stück abgesetzt wird? Dieses ganze Leben ist doch voller Fetische, die einen nicht glücklich machen und die man, wenn der letzte Baum tot ist, nicht essen kann. Das sollten diese fleißigen Aufpasser da draußen mal bedenken. Bauarbeiter mit Schubkarren voll Schutt, die einen schief ansehen, wenn sie einen vorbeispazieren lassen müssen; Verkäuferinnen, die sich wundern, wenn mittags gesunde junge Männer zwischen den Omis in der Schlange stehen; Treppenputzer, die jede Woche erleben, wie man um zwölf die Post aus dem Kasten holt und danach wieder in der Wohnung verschwindet; und die Eltern der Exfreundinnen, die immer wissen wollten, wovon man denn nun eigentlich lebt und was man macht. Nichts.
Für etwas Großes reicht das Talent nicht, für etwas Kleines ist der Anspruch zu hoch. Also fernsehen und sich als was Besseres fühlen. Aber nicht irgendwas, sondern Stefan Raab. Den Clint-Eastwood-Western kann man sich nämlich nach dem Flippern abschminken, der ist um die Zeit schon viel zu komplex. Im Stern guckt man sich ja auch nur noch die Bilder an, für den Text reicht die Geduld gar nicht mehr. Vielleicht wäre eine Frauenzeitschrift das Richtige? Aber es gibt so viele Frauenzeitschriften, man müsste in jeder Sekunde eine lesen, um die richtige zu finden. Und immer die Angst, zu keiner Zielgruppe mehr zu gehören! Leute um die dreißig, die nicht mehr an die Liebe glauben, bei Kaiser’s immer das Gleiche kaufen, zu träge sind, sich für ein Urlaubsziel zu entscheiden und sogar schon anfangen, sich beim Fußball zu langweilen.
Was soll die Gesellschaft mit solchen Außenseitern anfangen? Braucht es noch einen Beweis dafür, dass es schädlich ist, fleißig zu sein und schon am Freitag aufzuräumen? Manchmal sehnen sich diese Leute nach einer Ehefrau, der sie die Schuld an allem geben können.
Von heute bis Sonntag findet in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ein Recht-auf-Faulheit-Kongress mit Theateraufführungen, Lesungen und Konzerten statt
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