: Der Ball muss erst getötet werden
Die Wanderausstellung „Vom Spielkaiser zu Bertis Buben“ zeigt ein Jahrhundert Kickerei in Berlin: Von Germania 88 über den Luxus des BFC Preußen bis zum Flachpassspiel von Victoria 89. Nur: Tennis Borussia ist gar nicht dabei und Hertha nur lieblos
von MARKUS VÖLKER
In Köpenick über Fußball zu reden heißt in diesen Tagen, von Union Berlin zu sprechen. Vor allem, wenn sich die Kombattanten von einst im Köpenicker Rathaus treffen, um die Wanderausstellung „Vom Spielkaiser zu Bertis Buben“ zur Geschichte des deutschen Fußballs zu eröffnen. Auf 49 Schautafeln ist über ein Jahrhundert Kickerei zu bewundern. Aber was ist das gegen ein Ereignis, das am nächsten Samstag im Berliner Olympiastadion stattfindet, das DFB-Pokalfinale Union gegen Schalke 04.
„Union war eine randständige Mannschaft mit gewissen Leidenskurven“, sagt Jürgen Niendza, der gemeinsam mit Eduard Hoffmann die Ausstellung konzipiert hat. Seit 1999 tourt das von der Volkshochschule Aachen finanzierte Projekt durch Deutschland. Erstmals ist die Schau im Osten angekommen. Ergänzt wird sie jeweils um einen Teil, der sich der regionalen Fußballgeschichte widmet. „In der Regionalität steckt viel Herzblut“, sagt Niendza, „es geht schließlich darum, Identifikationsmuster neu zu beleben.“
Das hätte in Berlin ein lohnendes Projekt werden können. Denn Berlin wurde um 1900 zum Zentrum des Fußballspiels. Und der Kreis scheint sich mehr als hundert Jahre später zu schließen. Der erste Verein, Germania 88, wird hier gegründet, auch das erste Sportgeschäft. 1890 wird mit dem Bund Deutscher Fußballspieler der erste Verband ins Leben gerufen. Und Berlin setzt weitere Maßstäbe: 1899 erhält der BFC Preußen einen umzäunten Platz mit Holztribüne, überdies feste Tore mit Netzen – und kassiert für den Luxus Eintrittsgeld. Victoria 89 kultiviert das gepflegte Flachpassspiel. Der Ball müsse erst „getötet“ werden, bevor er von Mann zu Mann wandern könne, heißt es wegweisend. Doch die Berliner Großvereine der Neuzeit überzeugen durch plakative Bogenlampen.
Tennis Borussia blieb der Ausstellung fern, weil die prekäre Zukunft offenbar keine Gedanken an die Geschichte zulässt. Der zweifache Deutsche Meister (1930, 1931) Hertha BSC klebte lieblos Ausschnitte auf Pappe, deren unsaubere Schnittkanten die Motivation des Bundesligisten offen legen, nur einer lästigen Pflicht nachkommen zu müssen. André Rolle, Organisator der Berliner Schau, sagt: „Herthas Beitrag ist echt dünn, ich bin enttäuscht darüber, dass die fast nichts gemacht haben.“
Die Tafeln des SC Burgund Friedrichshagen 1912 und des Grünauer BC 1917 erscheinen im Vergleich zu Herthas vorschulhaftem Dilettantismus professionell. Union indes breitet in allerlei Details den Mythos von 1968 aus. Damals gewann der Klub das Pokalfinale der DDR gegen Carl Zeiss Jena mit 2:1, durfte dann aber nicht im Europapokal spielen, weil sich im Prager Frühling das politische Klima verschlechterte.
Günter Mielis ist ein Mann von Unions Geschichte. Mielis, in den Sechzigern Vizepräsident von Union, holt weit aus in seiner Geschichtsbetrachtung. Die Erinnerung an die Schraubschlüssel schwingenden Schlosserjungs aus Oberschöneweide sei sehr schön, sagt er, aber es gebe nur „einen echten Fakt“, auf dem Unions Historie gründe: dass man im Stadion an der alten Försterei gespielt habe. Er macht sich Sorgen, Union könne das Stadion einmal verlassen. Er sagt: „Unsere Tradition muss popularisiert werden.“ Aus zwei Gründen: „Wenn Westberlin uns verstehen will, dürfen wir uns nicht isolieren“. Und: „Damit Politik gemacht werden kann.“ Was heißt: In Berlins umkämpfter Fußballlandschaft Raumgewinne erzielen.
Das wird Union in Zukunft sicherlich gelingen. Dabei müssen sie sich nicht einmal nach den Empfehlungen des Fußballpioniers Philipp Heineken richten, der vor 105 Jahren riet, den leicht aufgeblasenen Ball an einen trockenen Ort zu hängen, „an dem er keine Besuche von Mäusen und Ratten zu gewärtigen hat“.
Die heutigen Bälle sind aus Plastik. Ihnen fehlt der muffige Ledergeruch. Auch bei Union gilt es, in einer zumeist antiseptischen Gegenwart an den „alten, halb vermoderten und von vergorenem Schweisse durchtränkten Trikots“ (Heineken) zu schnüffeln. Das belebt Körper und Geist.
Die Ausstellung „Vom Spielkaiser zu Bertis Buben“ im Köpenicker Rathaus, Alt-Köpenick 21, ist bis zum 12. Juni, werktags von 8 bis 20 Uhr, zu sehen.
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