: Der Kampf gegen die Narben
Hanny Lightfoot-Klein kämpft gegen weibliche Genitalverstümmelung. Und hilft sich damit auch selber ■ Von Sandra Wilsdorf
Die Geschichte von Hanny Lightfoot-Klein spielt in Hamburg, New York und Afrika. Sie handelt von Schuld und Scham, von Frauen und ihren Narben. Und von Hilfe, die auch der Helferin hilft.
Mit heiler Haut, aber nicht ganz heilem Herzen verließen Hanny und ihre Eltern 1938 Hamburg. Gerade noch rechtzeitig wanderte die jüdische Familie in die USA aus, wo sie den Holocaust überlebte. „Der Rest der Großfamilie ging den Schornstein hoch“, sagt die heute 74-Jährige. Dass sie überlebte, nennt Hanny Lightfoot-Klein „meine Überlebensschuld“, und die hat sie ihr ganzes Leben begleitet. Immer wieder litt sie unter Depressionen, dachte an Selbstmord.
Und so ist es auch ein bisschen der Versuch, sich das Leben zu retten, als sie im Alter von 51 Jahren ein halbes Jahr frei nimmt von der Schule, an der sie unterrichtet, New York und den erwachsenen Kindern den Rücken kehrt und auf Weltreise geht. „Ich wollte eigentlich nach Indien“, sagt sie. Aber wie das so geht, es wird Afrika daraus. Erst Ägypten, und schließlich landet sie im Sudan.
Hier kommt sie mit einem Amerikaner ins Gespräch über Beschneidungen von Frauen und Mädchen, von denen sie annahm, „das würde nur noch ganz vereinzelt in primitiven Stämmen gemacht“. Der Mann klärt sie auf: „Jede Frau in dieser Stadt ist beschnitten.“ Sie will alles darüber wissen, aber es dauert, bis sie fragen kann. Eines Abends ist sie bei Sudanesen eingeladen und fragt den Mann nach dem Zeitpunkt der Beschneidung. „Ich sah einen furchtbaren Schmerz in seinem Gesicht, als er auf seine Frau zeigte und sagte, ,Frag' sie doch, sie hat es durchlitten'.“ Und so wird aus der Lehrerin eine Journalistin, „ich hatte immer etwas schreiben wollen, aber ich wusste nie, worüber“. Jetzt hat sie mehr als nur ein Thema: „Ich hatte endlich eine Lebensaufgabe gefunden, die mir groß genug schien, um damit meine Überlebensschuld abzutragen.“
Sie reist durchs Land, interviewt Frauen und lernt, dass es verschiedene Arten von Beschneidungen gibt: Bei der Sunna wird die Vorhaut der Klitoris entfernt, bei der Exzision werden Klitoris und die kleinen Schamlippen ganz oder teilweise amputiert. Bei der Infibulation werden dem Mädchen zusätzlich die großen Schamlippen ausgeschabt und dann mit Dornen zusammengeheftet oder zusammengenäht, so dass nur ein streichholzdünnes Loch bleibt, durch das Urin und Menstruationsblut abfließen können. Im Allgemeinen werden nur die wenigsten Frauen auf diese Weise beschnitten, im Sudan, in Somalia und Djibuti sind es jedoch 80 bis 90 Prozent.
Die Beschneiderinnen, deren Ins-trumente Messer, Scheren, Glasscherben oder auch Deckel von Konservendosen sind, arbeiten oft unter unhygienischen Bedingungen, weshalb es immer wieder zu schweren Blutungen und Infektionen kommt, an denen nicht wenige Mädchen sterben.
Die Verstümmelungen werden oft religiös begründet, beispielsweise bei Muslimen und koptischen Christen. In ganz Ost- und Westafrika, im südlichen Teil der Arabischen Halbinsel, entlang des Persischen Golfs, in Malaysia und Indonesien werden die Mädchen, meist im Alter zwischen vier und acht Jahren, beschnitten. Der Eingriff soll die Geschlechtsorgane attraktiv und „sauber“ machen. Tatsächlich aber unterwirft er die Frauen, und Sexualität ist für sie nicht Lust, sondern Schmerz. In vielen Regionen finden Mädchen, die nicht beschnitten sind, keinen Ehemann.
Als das geplante halbe Jahr zu Ende ist, kehrt sie zurück in ihren Alltag in New York. „Aber ich konnte dieses Leben nicht mehr führen.“ Sie ist beseelt davon, afrikanische Frauen von dem grausamen Ritual zu befreien. Sie kündigt, nimmt die kleine Rente, die ihr zusteht, und ihr Leben wird eine Reise: Sie lebt in Kenia, wo sie vergewaltigt wird, Ägypten und immer wieder im Sudan. Sie schreibt ein Buch „Odyssee einer Frau durch Afrika“ und noch eines „Das grausame Ritual“. Für ihr drittes Manuskript sucht sie gerade einen Verleger. Sie reist kreuz und quer durch die USA und durch Europa, um zu erzählen, auf welch grausame Weise Frauen verstümmelt werden. Sie hat kaum Geld, deshalb trampt sie und findet immer wieder Unterschlupf bei wildfremden Menschen. „Die haben immer sofort gemerkt, dass ich interessant und völlig harmlos bin.“
Sie stellt ihr Leben in den Dienst ihrer selbstgewählten Aufgabe: Überzeugungsarbeit zu leisten, Frauen Mut zu machen, sich gegen die Verstümmelung zu wehren, Menschen in Europa und den USA aufzuklären über das, wovon hier viele nichts ahnen. Sie kämpft für die gleiche Sache wie viele Entwicklungshilfeorganisationen und Menschen wie Christa Müller und Rüdiger Nehberg. Sie gibt Informationen und sie sammelt Geld. Denn das ermöglicht medizinische Hilfe, die häufig zumindest die Schmer-zen lindern, unter denen viele der Frauen permanent leiden. Sie haben Fisteln oder vernarbte Nerven, was Sitzen, Liegen, Stehen gleichermaßen unerträglich macht. Der größte Teil des Geldes aber fließt in die Bildung, denn nur die kann überzeugen.
Dafür sieht Hanny Lightfoot-Klein erste Hoffnungsschimmer: Immer häufiger komme es vor, dass Frauen den Beschneiderinnen das Doppelte zahlen, wenn sie darüber schweigen, dass sie das Mädchen nicht beschnitten haben. Bei den Beschneidungsfeierlichkeiten wird das Kind nur gekniffen. Die Gäste im Nachbarzimmer halten das Schreien für eine Folge der Schnitte. Allerdings hat Hanny Lightfoot-Klein manchmal auch Zweifel an dieser Version: „Viele gebildete Frauen schämen sich, wenn sie es an ihren Kindern machen lassen, aber sie haben nicht die Macht, sich durchzusetzen.“
Im Senegal konnte eine Gruppe Weißer die Menschen in jahrelangem Training psychisch so sehr stärken, dass sie sich von ihren Traditionen lossagten und als Dorfgemeinschaft dem grausamen Ritual abschworen. Ein Geistlicher zieht jetzt von Dorf zu Dorf und klärt die Menschen darüber auf, dass der Koran die Beschneidung mitnichten befehle. Und auch aus Ägypten weiß Lightfoot-Klein von einer Gruppe koptischer Christen zu berichten, die das Ritual ablehnen.
Auf ihren Vortragsreisen wird Hanny Lightfoot-Klein oft gefragt, wie man helfen könne. Dann sagt sie immer: „Tue etwas Mutiges, egal was. Am Ende kommt Dir eine Idee.“ Und wenn nicht, „dann schreib einen Scheck für die, die wissen, was zu tun ist.“ Sechs Jahre lang ist sie fast permanent auf Reisen. Aber dann ist ihre Seele der dauernden Einsamkeit müde und ihr Körper der Strapazen. Sie hat einen kranken Rücken, ein kaputtes Bein, und wenn sie ihre große Brille abnimmt, schmerzen die Augen. „Ich bin halb blind“, sagt sie. Mag sein, dass das Augenleiden von den Malariamedikamenten kommt, die sie jahrelang geschluckt hat.
Sie fühlt, „ich brauche wieder ein Zuhause“. Das hat sie inzwischen in Tucson, Arizona. Dort ist jetzt die Basis, von der sie jedoch immer wieder aufbricht, „wann immer ich eine Gelegenheit zu sprechen oder zu schreiben habe, nehme ich sie wahr“, sagt sie. Jetzt war sie gerade auf Tour in Deutschland, sie war auch in Hamburg.
Und Hamburg ist für sie dabei nicht nur die Stadt ihrer Kindheit, die die Nazis so jäh beendet haben, sondern auch wieder ein Stück Zuhause. Über das gemeinsame Thema hat sie Herta Haas gefunden, eine 94-Jährige, mit der sie eine Mutter-Tochter-Beziehung pflegt. „Dass Herta an mich glaubt, hat viel in meinem Leben geändert. Ich bin so stolz, dass ein so wunderbarer Mensch etwas Gutes in mir sieht“, sagt Hanny Lightfoot-Klein. Sie will weitermachen, „so lange ich noch kann, denn ich habe die Hoffnung, dass es irgendwann aufhört“.
Weitere Infos zum Thema Genitalverstümmelung gibt Amnesty for Women unter Tel.: 040 / 384753; die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen veranstaltet am 22. Mai um 19.30 Uhr im Riekhof in Harburg einen Vortrag zum Thema „Frauen im Sudan“.
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