: Hühnerdisco auf vermintem Terrain
Das Spiel ist nicht zu gewinnen: Am Anfang war Novalog als gemeinsames Kunstprojekt zwischen Tel Aviv und Berlin konzipiert, das sich mit Pop und neuen Medien auseinander setzen sollte. Stattdessen wurden beide Seiten die Bilder vom Krieg nicht los
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Tel Aviv ist der Gegenbeweis. Gegen das Klischee von Israel als dem Land des strengen Glaubens, des asketischen Lebens und des permanenten Krieges setzt die Stadt auf Kultur und Unterhaltung. Die Galerien- und die Clubszene blühen im „New York des Orients“, wie schon der Reiseführer weiß. An diesem Punkt wollte das Projekt Novalog einhaken, verabredet zwischen Künstlern aus Berlin und Tel Aviv. Für Mirjam Wenzel, die Berliner Initiatorin des Austauschs, ging es um die „Einheit von Pop, Kunst und neuen Medien“: Auf diesem kulturellen Territorium hoffte sie auf Überwindung der historischen Belastungen zwischen Deutschland und Israel.
Mit DJs, Videokünstlern, Pop-Archivaren, Fotografen, Clubperformern und Website-Designern auf beiden Seiten sollte das Lebensgefühl der Gegenwart bearbeitet werden. Doch dabei blieb es nicht, stattdessen drängte sich der Konflikt zwischen Israel und Palästinensern den Künstlern während der einjährigen Vorbereitungszeit immer mehr als unumgehbares Thema auf. Geschichten von Besetzung und Landgewinnung, Metaphern von Grenzkontrollen und Ghettos breiten sich aus. Das zeigen auch andere Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in Israel.
Surreal und doch der Wirklichkeit auf verrückte Weise nahe mutet eine Geschichte an, die das Berliner Kollektiv „edit suisse group“ (Martin Conrads, Ulrich Gutmair, Silvan Linden, Stefan Schreck) ausgegraben hat und in einer Collage aus Dias und Texten erzählt. Sie berichten von „Atlantropa“, einem Landgewinnungsprojekt vom Beginn des letzten Jahrhunderts, als Utopien noch nicht ideologisch korrumpiert erschienen. 1927 entwarf der deutsche Ingenieur Herrmann Sörgel den Plan, durch Absenkung des Mittelmeeres Land zu gewinnen, das nach der Urbarmachung 150 Millionen Menschen ernähren könnte. Eine Brücke sollte Tunesien mit Sizilien verbinden und Afrika, über das Sörgel wie über einen leeren Platz verfügte, in nützliche Plantagen verwandelt werden. Sörgel versprach sich von diesem übernationalen Projekt das Ende der Kriege um Territorien. Bilder von Staudämmen, Siedlungen und ins Meer gebauten Basen stützen die Fantasie in der Diashow. Die mythisch überhöhte Rolle, die Landgewinnung sowohl im Zionismus wie im Faschismus spielte, leuchtet durch die halbpoetische Dokumentation. Sie ist der Bodensatz des Konflikts, der immer wieder mit Waffen weitergetragen wird.
Bei Timm Ringewaldt wird der Krieg zu einem Videospiel, das nicht zu gewinnen ist. Niemand kann sich aussuchen, für welche Seite er in den Kampf zwischen weißen und schwarzen Punkten eintritt. Jeder, der sich auf das virtuelle Territorium des lustig quietschenden und quäkenden Automaten begibt, vermehrt die Zahl der Kämpfenden zwar; aber das Programm eliminiert dafür sofort einen anderen Teilnehmer. Es gibt keine Wahlmöglichkeiten in diesem Spiel, das zwar Unterhaltung verspricht, im Grunde aber Gefühle der Resignation und Ohnmacht spiegelt. Gerade in seiner Banalität reagiert es auf die Erfahrung, wie sich die Fortsetzung des Krieges mit Erschossenen an jedem Tag versteckt in der Routine täglicher Nachrichten.
Pop selbst wird zum Kriegsschauplatz: In einer Video- und DJ-Performance steigert Safy Etiel, Pendler zwischen Berlin und Tel Aviv, in akustischen und visuellen Loops aus Action- und Katastrophenfilmen, Videoclips und Konzertmitschnitten die Spannungsmomente ins Unerträgliche. Seine Show geht an die Nerven. Dem Nachtleben und der ausgeprägten Funkultur von Tel Aviv gelten auch Installationen der Gruppe Yavchoosh und Gideon Gechtmanns: Sie beschreiben den forcierten Spaß als Teil einer Flucht, die mit Einlasskontrollen, Auswahlmechanismen und Ausgrenzungen in inszenierter Form das wiederholt, wovor sie gerade flieht. Gechtmann hat Hühner in einen kreisrunden Käfig gesperrt, von Neon-Schriftzügen „Endless Show“ umflackert. Sind die Hühner die Gefangenen oder die, die sich zu Tode amüsieren? So wie in den Augen des Touristen schon jede Absperrung, die den Autoverkehr von den Marktstraßen fernhält, verdächtig nach Straßensperre aussieht, lädt die Situation des Krieges auch fast jede künstlerische Form mit politischem Inhalt auf.
„Inside it is cool but outside a nightmare“ beschreibt Tai Shani das Verhältnis des „Ghettos Tel Aviv“ zur Realität des Landes Israel. Die junge Künstlerin hat in einem weißen Raum ein Bett aufgebaut: Wer sich hinlegt, sieht über sich einen Frauenkörper in sexueller Erregung. Durch einen Vorhang wird eine Kamera sichtbar, die das Gesicht dessen, der auf dem Bett liegt, einfängt – als Voyeurismus des Beobachteten. Eine höchst ungemütliche Falle.
Im September wird der „Novalog“, der eine Liste von 17 Schirmherrn, Sponsoren und unterstützenden Institutionen aufweist, in Berlin im Gebäude der Staatsbank fortgesetzt. In Tel Aviv wird die Ausstellung der Rachel und Israel Pollack Galerie von Partys und Raves begleitet, für die sich DJs aus dem Berliner WMF-Club mit Kollegen von Dinamo Dvash Tel Aviv verbünden. Am Tag nach der Eröffnung sind die Berliner in einen Kibbuz nahe Jerusalem eingeladen, um aufzulegen; ein anderer Teil will zu einem Rave in die Wüste. Das hat schon etwas Missionarisches, wie die Abgesandten der Berliner Clubszene in die hintersten Winkel der Welt ausschwärmen, murmelt einer der Künstler. Im Kibbuz beschallen sie nachts die Schafherden, die längst nicht mehr als ökonomische Basis für die achtzig Bewohner ausreichen.
Eine Idee, dem verschuldeten Kibbuz aus seiner finanziellen Misere zu helfen, ist die Anlage eines Themenparks, in dem Israels wichtigste Gebäude als Architekturmodelle nachgebaut werden. Ein Hochhaus steht schon. Im Dunkeln wird es besichtigt. Die Wirklichkeit scheint plötzlich nicht weniger absurd als „Atlantropa“, der Plan zur Absenkung des Mittelmeeres.
Der Landarbeiter und der Soldat – diese beiden in der Geschichte Israels zusammengeschweißten Figuren finden sich wieder in den aktuellen Ausstellungen des Museums Tel Aviv. Die eine ist Yohanan Simon gewidmet (1905–1976), der aus Berlin kam, 1936 nach Palästina ging und zu einem repräsentativen Maler des Kibbuz wurde, der in Farmern und Kindern den Mythos des Siedelns, der Urbarmachung und Zukunftsgewinnung feierte. Die zweite Ausstellung, „The Armory Show“, gilt Israel unter Waffen. Fotografen, Maler und Videokünstler setzen sich mit der Allgegenwart des Militärs auseinander, das über weite Strecken die jugendliche Sozialisation besetzt. Krieg wird zum Comic und Kinderspielzeug, er bestimmt den Tagesrhythmus und die industrielle Produktion. Doch je weniger er vom Alltag zu trennen ist, desto schwerer wird er fassbar.
Im Museum Herzliya, das nahe von Tel Aviv zeitgenössische Kunst zeigt, stellt die holländische Fotografin Rineke Dijkstra ihr „Israel Project“ vor: Wie in einem Feinschnitt der Zeit lässt sie in ihren Portraitserien die Schichten des Erwachsenwerdens sehen, die sich wie feste Hüllen um die Körper der Jugendlichen legen. Jungen und Mädchen, die eben noch coole Posen übten, stehen dann plötzlich in Uniform und bewaffnet vor uns. Die Verantwortung erdrückt die Momente der Initiation und Verletzbarkeit.
Fragil wirkt die Installation von Ronit Agassi aus Blättern, die an den Fenstern des Museums vor sich hin welken. Natur ist im israelischen Kontext immer belastet mit dem Status zu erobernder Wildnis und Gegenstand blutiger Auseinandersetzungen. Diesen Widerspruch zur Verheißung des „versprochenen Paradieses“ thematisiert die israelische Künstlerin in Zeichnungen, die sie mit kleinen Löchern in die Blätter perforiert hat. Man erkennt Gegenstände des Alltags, Schuhe und Sessel, aber auch Szenen von Verhaftungen, Steinwürfen, Kampfhundtraining.
Der Gewalt nicht auszuweichen, das lastet auf den in Israel arbeitenden Künstlern. Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum einige Teilnehmer des Novalogs den politischen Konflikt nicht zum Thema nehmen wollten. „The Armory Show“ zeigt, wie in der Naheinstellung im Blick auf den Krieg in Permanenz der Abstand der Reflexion verloren geht. Zwischen den Bildern und der Wirklichkeit bleibt kein Spielraum mehr. Indem die Künstler des Novalogs aber den Umweg über Pop und Medienalltag gegangen sind, dringen sie anders in das Gewebe aus Mythen und Normalität. Sie erzählen zwar nicht vom Krieg zwischen Israelis und Palästinensern. Auf seine Spuren aber stoßen sie überall.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen