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Rechte Rechte

DAS SCHLAGLOCH von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH

Niemand soll gehindert werden, Goethe zu plündern: „Zum Golde drängt, am Golde hängt doch alles.“

„Es kann doch nicht angehen, dass wir unsere Sendungen für teures Geld produzieren, und dann kommt einer daher und macht aus Zitaten seine ganze Sendung auf lau.“

Hans Mahr, RTL-Chefredakteur

Gemein und gemeint ist Stefan Raab. Seinem „TV total“ gelang es erstmals in Deutschland, massenwirksames Fernsehen aus recyceltem Fernsehen zuzubereiten. Die zu Grunde liegende Technik hingegen ist alt und gedieh zuvor eher unbemerkt im Feinguckerbereich der Augenastronomie.

Italiens Rai 3 erfand in den 80ern das werktägliche Format „Blobb!“. Der Titel beschreibt lautmalerisch Geräusche des Wiederkäuens, vulgo: „Rülps!“ Eine Horde studentischer Hardcore-Gucker selektierte das komplette TV-Angebot eines Tages, und ein virtuoser Schnittregisseur metzelte die unzusammenhängenden Atome in neue, erhellende Zusammenhänge.

Aus Frankreichs Canal plus kam „Zapping“ zum deutschen Ableger Premiere. Eher ein Panoptikum der Entgleisungen und ungewollten Wahrheiten, eine Art „Pech, Pleiten, Pannen“ mit Hochschulabschluss.

Staunenswert an den TV-Restetellern war zum einen, wie unbemerkt die Volkskunst des späten Zwanzigsten Jahrhunderts in der Nische tanzte: Unbestreitbar hatten hier die Fernsehmacher Techniken von ihren Kunden gelernt: Zapping als elektronischer Enkel der naiven Malerei. Parallel erhob sich organisierte Kriminalität in der Unterhaltungsmusik zur geachteten Kunstform – mit der analogen Technik des „Samplings“. Das ist das andere Wunder des Bildererbrechens: Urheberrechtlich ist diese Kunstform so unmöglich wie kaum eine andere.

Ur-, nämlich -sprünglich, heben Autor, Regisseur, Cutter, der ganze Stab halt ein Stück Fernsehen aus dem Reich der Möglichkeiten in die Realität. In diesem Akt unterscheidet sich ein beliebiges TV-Team nicht wesentlich von Rembrandt und Da Vinci. Am anderen Ende hingegen wäre es unmöglich und als Kulturverbrechen zu werten, wollte man der Menschheit den Anblick der Mona Lisa aus lizenzrechtlichen Gründen verweigern. Während Fernsehwerke mit rechtlichen Mitteln vollständig aus der Welt zu schaffen sind. Fritz Langs Filmdenkmal „Metropolis“ kursierte zeitweise in einer jämmerlich geschändeten Version: Nachträglich, stümperhaft und eklig auf Farbfilm gewürgt. Das wollte niemand sehen, und so bemühten sich die Rechteinhaber an der Bonbonfarbenversion, das schwarzweiße Original vom Markt zu nehmen. Dies scheiterte.

Ausgerechnet die Fernsehbranche entschied sich bisher klammheimlich zu „Augen zu und durch!“, wenn das Fremdrecht drohte. Eine possierliche Sammlung von Verlegenheitstricks und juristisch begründeten Bildmanipulationen säumt den Weg zum Recycling-TV. Im Hintergrund stets: die teils horrend hohen Lizenzgebühren, die auch dann fällig werden, wenn der eigentlich schöpferische Akt nicht im benutzten Material, sondern in der Art der Nutzung gesehen wird. Die Urheberrechte für die Mona Lisa liegen gewiss nicht bei dem Apotheker, der die Farben dazu anmischte. Übrigens – im Gegensatz zum Profifußball – befinden sie sich auch nicht bei der abgebildeten Person. Aber liegen nicht Urheberrechte an einer Mona-Lisa-Parodie beim Urheber des Originals?

Nein, sagten die Richter, jedenfalls nicht ausschließlich: Das Recht des Urhebers dürfe nicht das höherwertige Recht der freien Meinungsäußerung beschneiden. Man müsse zum Beispiel über eine TV-Serie wie „Dallas“ sich kritisch äußern dürfen. Und das geschehe im Fernsehen regelmäßig und typisch dadurch, dass man das Zeug – versehen mit kritischen Kommentaren – erneut vorzeige. Macht unterm Strich: Dallas-Bilder umsonst, wenn man dazu erzählt, was für ein Schrott das ist. Dallas-Bilder nur gegen dickes Geld, wenn man etwa eine Satire auf die Ölpreise daraus machen möchte.

Nein, sagten die Richter wieder. Schließlich gibt es in der Literatur auch ein Zitatrecht; und niemand sollte mit Geldforderungen daran gehindert werden, etwa Goethe zu plündern: „Zum Golde drängt, am Golde hängt doch alles, ach, wir Armen.“ Und was dem Schreiber billig, müsse dem Fernsehmacher Recht sein. So sind jene angefilmten Monitore, Grafikbasteleien und verzerrten Ausschnitte entstanden, die Formate wie „Zapping“ und andere verlässlich begleiten: Solange das Fremdmaterial nicht Vollbild, sondern beschnitten, angeschnitten, abgekascht hergezeigt wird, sagt zwischen den Zeilen der Jurist des einen dem Juristen des anderen Senders: Du kannst mich mal. Allerdings nicht finanziell. So ähnlich ist zu deuten, dass bei Raabs „TV total“ noch stets eine kleine Animation einen Teil des zitierten Bildes abdeckt.

RTL ärgert sich zu Recht, dass Raab räubert. Modernes Unterhaltungsfernsehen kostet pro Minute von 4.000 Mark an aufwärts, und behände ist die 10.000-Mark-pro-Minute-Grenze übersprungen. Raab ärgert sich zu Recht, dass RTL geizt. Denn allein im Entdecken der Grausamkeit manchen Schnipsels liegt ein schöpferischer Akt, der genialischer daherkommt als das gesamte Ausgangsmaterial. Dass Schröder beim Autogrammschreiben ein Bier mochte, war eine eher alltägliche Beobachtung einer „Spiegel TV“-Kamera. Und ein Dreier: Schröder erhebt Urheberrechte an dem banalen Spruch, „Spiegel TV“ am Bild und Raab an der Idee. Clever genug verzichteten weder Kanzler noch Sender auf ihre Rechte, sondern machten sie geltend, indem sie Raab einluden, sie gemeinsam für einen guten Zweck zu spenden.

Macht unterm Strich: Dallas-Bilder sind umsonst, wenn man dazu erzählt, was für ein Schrott das ist

Fortan wird RTL und jeder andere zitierte Sender beanspruchen wollen, was des Kanzlers ist. Mit einem halbrotzigen Dank an alle zitierten Sender im Abspann von „TV total“ wird es nicht mehr getan sein. Allein RTL rechnet seine Ansprüche für dieses Jahr auf nicht unrealistische 250.000 Mark hoch.

Und nun die Sternchenaufgabe mit der kleinen Eule für unsere ganz Schlauen: Wer hat die Rechte an der großen Fußballschaltkonferenz am letzten Bundesligaspieltag? Die Fußballer, ohne die es nichts zu berichten gäbe? Deren zahlende Vereine? Deren Rechteverwerter DFB? Der Fernsehrechtekäufer Kirch? Die übertragenden ARD-Radios? Die Reporter, die man schließlich hört?

Gegenüber dem DFB sagt die ARD, dass die Reporter das eigentliche Ereignis schaffen würden und dass also nichts zu zahlen sei. Dummerweise hat die nämliche ARD dem Partner Kirch gerade die WM-Rechte abgekauft, und dabei unbemerkt ein kleines Bonbon draufgelegt: Kirch bekommt Zugang zu ARD-Sportarchiven – als Ausgleich für die Hörfunkrechte, die es angeblich gar nicht gibt. De jure mag es also künftig so kommen: Ein WDR-Mitarbeiter sieht sein eigenes Werk bei Kirch. Er beschwert sich, doch der WDR muss Kirch vor WDR-Mitarbeitern schützen. Schließlich bekommt er von Kirch Rechte, die es zwar gar nicht gibt; die aber immer noch schützenswerter sind als die Urheberrechte seines eigenen Mitarbeiters. War doch gar nicht so schwer.

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