berlin buch boom: Rainer Ehrts „Preußisches Panoptikum“
Der König ist nackt
1701 krönte sich Friedrich III. selbst zum preußischen König, deshalb feiern Brandenburg und Berlin ein ganzes, langes Jahr lang Preußen. Heraus kommt dabei vor allem eins: Lobhudelei, gepaart mit der Sehnsucht nach den alten preußischen Tugenden. Zucht und Ordnung, Pflichterfüllung bis zur Selbstaufgabe auf der einen Seite. Aufgeklärter Absolutismus, Schulpflicht und Gleichstellung der Juden auf der anderen.
Der Karikaturist Rainer Ehrt sieht die preußische Geschichte schon von Berufs wegen ganz anders. In seinem satirischen Bilderbuch „Preußens Panoptikum“ holt er die einstigen Berühmtheiten vom Denkmalsockel. So führt Wilhelm II. seine neue Uniform vor, ist aber in Wirklichkeit nackt. Die Langen Kerls, wie der preußische König seine närrisch geliebte „Leibcompagnie“ nannte, zeichnete Ehrt als wahre Riesen, den Befehlshaber aber als mickrigen Zwerg. Mozart schafft es gerade noch so, wenigstens einmal das Haus im Holländischen Viertel Potsdams zu verlassen, indem er zwischen einer Reihe Leibgardisten hindurchschlüpft.
Und Friedrich Wilhelm und Luise Henriette ganz privat im kurfürstlichen Schlafzimmer sehen einfach nur wie zwei normale Menschen aus. Das goldene Bett ist riesengroß, die beiden wirken klein und lustlos. Heiratspolitik hat das Paar zusammengewürfelt, nicht die Liebe. Die „Tafelrunde von Sanssouci“ von Adolf Menzel, ein Gemälde, das nach dem Zweiten Weltkrieg verloren ging, hat es dem Karikaturisten besonders angetan. Das Historienbild von 1850 zeigt eine Tafelrunde Friedrichs des Großen um 1750, der Konversation mit Voltaire betreibt. Mit am opulent beladenen Tisch sitzen Churchill, Truman und Stalin, der Hofmusiker Philipp Emanuel Bach, der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe und noch einige andere. Frauen sind keine zu sehen.
Die Dienerschaft ist nur schemenhaft angedeutet, dafür hat der Maler dem Kronleuchter mit komplexen Reflexionen deutlich mehr Beachtung geschenkt. Albert Einstein sitzt im Kronleuchter. Seine ausgestreckte Zunge wirkt wie ein Kommentar auf die Runde unter ihm, die eine preußisch-deutsch-brandenburgische Version der mehr als zweifelhaften Maxime „Männer machen Geschichte“ ist. Und diese macht man eben seit jeher am besten beim Essen von Würstchen und Spanferkel, und, noch wichtiger, beim Trinken von Wodka Gorbatschow und – wassonst? – Rex Pilsener.
ANDREAS HERGETH
Rainer Ehrt: „Preußisches Panoptikum“. Espresso Verlag Berlin, 96 Seiten, 39,90 DM; der Band begleitet die Ausstellung, die vom 31. Mai bis 5. Juli in der Cartoonfabrik Berlin zu sehen ist.
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