: Es regnet braune Brühe
■ Neonazis marschieren durch Oldenburg/Holstein: Mehr als 100 Festnahmen und „geringe Toleranzschwelle“
„Fassen Sie mal richtig zu, die haben es nicht anders verdient“, schrie am Samstagmittag ein älterer Anwohner den PolizeibeamtInnen zu: Über 150 AntifaschistInnen hatten die Liliencronstraße in Oldenburg blockiert, um den angekündigten Neonazi-Aufmarsch in der kleinen Schleswig-Holsteinischen Stadt zu verhindern. Doch nicht alle Bewohner applaudierten, als die Polizei über 100 Nazi-GegnerInnen einkesselte, sie abfilmte, sie wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz festnahmen und erst nach fünf Stunden wieder frei ließ. „Das ist ja unglaublich“, regte sich eine Frau über die Polizei auf, „die haben doch Recht“. Bereits zuvor hatte Polizeipressesprecher Detlef Harder versichert, dass die 650 Einsatzkräfte energisch gegen Verstöße von Links wie Rechts vorgehen würden. „Wir haben eine geringe Toleranzschwelle.“
Nachdem die Polizei die Straße freigeräumt hatte, konnten die etwa 80 Neonazis unter dem Motto „Den Volkszorn auf die Straße tragen“ losmarschieren. Zwar hatte offiziell die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) den Aufmarsch als Auftakt ihrer Kampagne zur Stabilisierung des Landesverbandes angemeldet, aber inoffiziell leiteten der Hambuger Neonaziführer der „Freien Nationalisten“ Christian Worch und sein Lübecker Mitstreiter Jürgen Gerg die Versammlung. Der mehrfach vorbestrafte Kieler Kameradschaftsführer Peter Borchert trat immer noch als NPD-Landeschef auf, dabei hat ihn der Bundesvorstand längst abgesetzt. Auf der Zwischenkundgebung in der Innenstadt wetterte er gegen die Parteiführung, die sich wegen des drohenden Parteiverbots „selbst beschränkt“.
Obwohl die Polizei, ausgerüstet mit einem Wasserwerfer, vor dem Neonazimarsch vorranschritt, kam es immer wieder zu Protesten auf der Route. Jugendliche stellten sich in den Weg und Anwohner spritzten Wasser und braune Brühe.
Schon am Vormittag waren darüber hinaus über 350 SchülerInnen dem Aufruf „Keinen Raum den Neonazis in Oldenburg“ der Landesschülervertretung, der Jungsozialisten und der Grün-Alternativen Jugend (GAJ) gefolgt. Nach der Abschlusskundgebung griffen Neonazis einen Mitveranstalter von der GAJ an. „Wir saßen noch im Auto, als die Nazis Bierdosen warfen und mit Tränengaspistolen auf uns schossen“ sagt er. Mittlerweile hat er Strafanzeige gestellt. „Wir werden auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Polizei stellen.“ Denn entgegen der Absprache, wären die Nazis durch die Stadt gelaufen, während die Antifa-Route „durch fast unbewohnte Randgebiete“ verlief.
Die Neonazis, die nach dem Aufmarsch im „Club 88“ feiern wollten, fanden ihr Zentrum in Neumünster umgestaltet vor. Autonome AntifaschistInnen hatten die Fassade schweinchenrosa gestrichen und zwei Holzschweine davorgehängt: „Pink statt braun“ hieß das Motto.
Andreas Speit
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