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Anmut sparet nicht noch Mühe

In einer neuen Sendereihe plaudern der Kritiker und der Intendant über tote Autorinnen und Autoren – ein kulturelles Kabarett („Lauter schwierige Patienten“, 23.15 Uhr, SWR)

Peter Voß ist ein Mann der Tat. Knallhart fusionierte und rationalisierte er SWF und SDR zum SWR. Peter Voß ist aber auch ein Mann des Wortes. Inspiriert schreibt er Bücher, die ein SWR-Intendant eben so schreibt: Besinnliches wie „Rundfunk in Bewegung – Ansprachen und Ansichten eines Akteurs“ und, wenn ihn die wilde Muse reitet, auch mal eine Anthologie wie „Zwischen den Kratern“. Nun hat er das Steckenpferd mit dem Beruf verbunden und seinem Sender ein „Literarisches Quartett light“ verordnet: „Lauter schwierige Patienten“ mit Literatur-Lama Dalai Reich-Ranicki.

Im gediegenen Schloss Bühlerhof bei Baden-Baden sitzen sich die beiden Experten in gediegenen Bauhaus-Sesseln gegenüber und reden vor gediegenem Publikum über Schriftsteller, die MRR „noch persönlich kennen gelernt hat und die nicht mehr leben“. Ein kausaler Zusammenhang besteht nicht, Heinrich Böll oder Max Frisch schieden ohne des Kritikers Zutun aus dem Leben.

Weil „Lauter schwierige Patienten“ als Soloprogramm von Reich-Ranicki daherkommt, fehlt, was das „Literarische Quartett“ oft so unerträglich macht: das Manegenhafte, Hellmuth Karasek, die Bücher. Dafür ergießt sich Reich-Ranickis bildungsbürgerlicher Redefluss ungehindert über „den Privatmann“ Bertolt Brecht, nur behutsam kanalisiert von Stichwortgeber Voß: „Es gibt ja Gerüchte, er habe die Frauen ausgebeutet“ – „Dafür gibt es ü-ber-haupt keinen Anlass“, weiß MRR und weiß noch mehr, „ich war ja nicht dabei“, aber Brecht litt unter vorzeitigem Samenerguß, „ejaculatio praecox, vornehm ausgedrückt“, doch litten darunter nicht die Frauen, denn es habe sich „noch keine beschwert, die Damen waren zufrieden“ und dergleichen mehr, und zwar ohnepunktundkomma – et cetera ad infinitum, vornehm ausgedrückt.

Dass Reich-Ranicki dabei buchstäblich ganze Abschnitte seines Bestsellers „Mein Leben“ nachtextet, kann ihm nicht wirklich angekreidet werden – ältere Menschen neigen naturgemäß zu Wiederholungen, was den Wert der Anekdoten keineswegs schmälert. Außerdem kann es, spaßkulturell gesprochen, hin und wieder ganz reizvoll sein, dem inflationär persiflierten Zungenschlag eines Reich-Ranicki mal wieder im O-Ton zu lauschen – ob man ihn nun mag oder nicht.

Bizarr wird’s nur im Doppelpass mit dem Intendanten: MRR schweift ab und spricht über Thomas Mann, Voß schweift noch weiter ab, der Thomas Mann käme ja „aus meiner Heimatstadt Lübeck“ – „Oh, so, na ja“, stolpert Reich-Ranicki und versucht trotzdem eine Ballannahme: „Nicht die schlechtesten Leute kommen aus Lübeck“ – „Da haben Sie ja recht“, sagt der Mann aus Lübeck. So lustig kann Kultur im Dritten sein, wenn den Eitelkeiten freier Lauf gelassen wird. Und wenn ein moderierender Intendant am Werk ist, der sein Betriebsgeheimnis längst in ein Gedicht gegossen hat: „In meinem Sessel saß ich, ließ die Zeit vergehen“. ARNO FRANK

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