: „Vor allem junge, gut qualifizierte Menschen“
Dokumentation: Auszüge aus dem Bericht der von Rita Süssmuth (CDU) geleiteten Zuwanderungskommission der Bundesregierung
Demografische Entwicklung: Bevölkerungsrückgang und Alterung haben gravierende Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung, den Arbeitsmarkt, die Staatsverschuldung, die sozialen Sicherungssysteme, die Innovationsfähigkeit sowie die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft. Die Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung wird in Deutschland zu tief greifenden Veränderungen der Wirtschaft, der Gesellschaft und des Arbeitsmarktes führen.
Rückgang des Arbeitskräfteangebots: Das zukünftige Angebot an Arbeitskräften in Deutschland wird – abgesehen von der Zuwanderung – vor allem durch die demografische Entwicklung und das Erwerbsverhalten bestimmt. Als Folge des Bevölkerungsrückgangs wird in den nächsten Jahrzehnten auch die Bevölkerung im Erwerbsalter deutlich abnehmen. [...] Im Jahr 2030 werden dem Arbeitsmarkt etwa zwölf Millionen Personen im Erwerbsalter weniger zur Verfügung stehen.
Gesteuerte Zuwanderung
Das geltende Recht wird den Anforderungen einer modernen arbeitsmarktorientierten Zuwanderung nicht gerecht und schreckt jene potenziellen Zuwanderer ab, die Deutschland dringend braucht. Ein Paradigmenwechsel vom Anwerbestopp zur gesteuerten arbeitsmarktorientierten Zuwanderung ist notwendig. Die vorhandenen Regelungen reichen nicht aus, um im Wettbewerb um internationale Spitzenkräfte zu bestehen und dem demografisch bedingten Rückgang von Berufseinsteigern zu begegnen.
Die Notwendigkeit einer Neuregelung des Arbeitsmarktzugangs wird an der Green-Card-Regelung für Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie erkennbar. Sie vereinfacht das Zulassungsverfahren zum deutschen Arbeitsmarkt für hoch qualifizierte Arbeitskräfte in diesem Bereich erheblich. Zwischen August 2000 und Ende April 2001 wurde 7.000 Personen im Rahmen dieses Programms eine Arbeitserlaubnis zugesichert. Die Attraktivität ist allerdings begrenzt, da das Programm keine Perspektive auf einen Daueraufenthalt in Deutschland eröffnet. Zudem wird gelegentlich kritisiert, dass die Regelung auf eine Berufsgruppe beschränkt ist.
Bei der Auswahl dauerhafter Zuwanderer wird das Augenmerk vor allem auf die allgemeine Integrationsfähigkeit des Zuwanderers in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt gerichtet sein. In Betracht kommen vor allem junge, gut qualifizierte Menschen. Sie sollen über ein Punktesystem ausgewählt werden. Für die dauerhafte Zuwanderung ist ein konkretes Arbeitsplatzangebot nicht erforderlich. Das Kontingent soll pro Jahr zunächst bei 10.000 bis 20.000 Bewerbern zuzüglich ihrer Familien liegen. Zudem können Selbstständige mit guten Geschäftsideen dauerhaft zuwandern.
Zuwanderer, die auf befristeter Basis nach Deutschland kommen, sollen kurzfristige Engpässe am Arbeitsmarkt mildern, um Schaden für die deutsche Wirtschaft zu vermeiden. Voraussetzung ist ein Arbeitsplatzangebot und ein tatsächlicher Arbeitskräftemangel im jeweiligen Beruf. Zwei verschiedene Methoden zur Feststellung des Arbeitskräftemangels sollen in Pilotprojekten parallel mit einem jeweiligen jährlichen Kontingent von 10.000 Personen erprobt werden.
Zuwanderer mit befristetem Aufenthalt, die sich gut in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft integriert haben, können sich über das Punktesystem für einen Daueraufenthalt qualifizieren. Durch diese Verzahnung befristeter und dauerhafter Zuwanderung entsteht ein Gesamtkonzept, das Mobilität ermöglicht und die Wiederausreise befristet anwesender Zuwanderer nicht generell erzwingt.
Punktesystem
Maximum: 100 Punkte. Alter: 1 Punkt für jedes Lebensjahr unter 45, jedoch maximal 20 Punkte. Höchster erreichter Ausbildungsabschluss bis 30 Punkte: Hochschul- oder Fachhochschulabschluss: 20 Punkte; qualifizierter Berufsabschluss je nach Ausbildungsdauer: 5 bis 20 Punkte. Bonuspunkte (bis 10 Pkt.): Besondere Nachfrage des Ausbildungsabschlusses am Arbeitsmarkt, Abschluss nach deutschem Bildungssystem, Promotion, Abschluss von einer besonders renommierten Ausbildungseinrichtung. Berufserfahrung und Zusatzqualifikation bis 15 Punkte: Erfahrung im erlernten Beruf (maximal 5 Jahre, bis 10 Pkt.), EDV-Kenntnisse, Fremdsprachenkenntnisse (Drittsprachen), Führungserfahrung. Gute Deutschkenntnisse bis 20 Punkte. Weitere Kriterien für gute Anpassungsfähigkeit (bis 15 Pkt.): Qualifikation des Ehepartners (bis 5 Pkt.), pro Kind 2 Punkte (max. 5 Pkt.), 5 Punkte für Arbeitsplatz(angebot) (ohne indiv. Arbeitsmarktprüfung), bis 5 Punkte für frühere oder derzeitige Aufenthalte in Deutschland.
Asylverfahren
Nach Überzeugung der Kommission ist wirkungsvoller Flüchtlingsschutz nur im Konsens möglich – Flüchtlingspolitik muss die Bedürfnisse aller Beteiligten hinreichend berücksichtigen. Asylverfahren, die sich über mehrere Jahre hinziehen, sind inhuman. Sie widersprechen nicht nur den Interessen der Aufnahmegesellschaft, die die damit verbundenen Lasten zu tragen hat, sondern auch den vitalen Interessen der Schutzbedürftigen und ihrer Familien. Ziel muss es sein, dass das Verwaltungsverfahren vor dem Bundesamt und das anschließende verwaltungsgerichtliche Verfahren in der Masse der Fälle innerhalb eines Jahres durchgeführt wird.
Die Kommission sieht keine Rechtfertigung dafür, die politische und gesellschaftliche Debatte, die zu dem Asylkompromiss (von 1993; Anm. d. Red.) geführt hat, erneut zu eröffnen und den seither bestehenden Grundkonsens in Frage zu stellen. Die Rückkehr zur ursprünglichen Fassung des Asylgrundrechts würde zur Abschaffung essenzieller zugangsbegrenzender Elemente des Asylkompromisses führen.
Keine Verfassungsänderung
Die Kommission sieht [...] keine durchgreifenden Gründe für eine Verfassungsänderung, die die Ersetzung der gerichtlichen Nachprüfung in Asylsachen durch Beschwerdeausschüsse rechtfertigen kann.
Entscheidend sind wirksame einfach-gesetzliche und administrative Maßnahmen zur Straffung der Asylverfahren und gegen unberechtigten Aufenthalt. Die Kommission empfiehlt deshalb, Art. 16 a und Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu ändern.
Ein weiterer Schwerpunkt betrifft die Verbesserung der Ausstattung der Verwaltungsgerichte in personeller und sachlicher Hinsicht. Eine angemessene Personalausstattung der Gerichte ist entscheidend für die Verkürzung der Verfahrensdauer.
Die Kommission bejaht die Schutzbedürftigkeit von Frauen, die ihres Geschlechts wegen politisch verfolgt werden, sowie die Schutzbedürftigkeit derjenigen Opfer, die in Situationen nicht oder nicht mehr bestehender staatlicher Strukturen oder genereller Schutzunfähigkeit des Staates Gefahren für Leben und Freiheit ausgesetzt sind. Über die Frage, ob sich eine Schutzgewährung bereits aus der Genfer Konvention ergibt, oder ob und wie sie anderweitig vorgesehen werden soll, konnte die Kommission keine Einigung erzielen.
Illegale Einwanderung
Die Zahl oder auch nur die Größenordnung der in Deutschland lebenden Illegalen ist nicht bekannt. Schätzungen schwanken zwischen 100.000 und einer Million Menschen, doch sind diese Angaben nicht viel mehr als Spekulation. Unbestritten ist jedoch, dass Deutschland einem enormen illegalen Migrationsdruck ausgesetzt ist.
Schwerwiegende Nachteile erleidet oft der Illegale, indem er ausgebeutet und um seinen Lohn geprellt wird. Klagt er den vorenthaltenen Lohn ein, läuft er Gefahr, dass sein illegaler Aufenthalt entdeckt und er abgeschoben wird. Schwierig ist die Situation Illegaler auch bei schweren Erkrankungen. Da sie regelmäßig nicht krankenversichert sind, müssen sie für die entstehenden Kosten selbst aufkommen oder riskieren, abgeschoben zu werden, wenn sie sich um Unterstützung der Behörden bemühen. Gleiches gilt, wenn sie ihre Kinder zur Schule schicken wollen. Die Kommission empfiehlt, in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz eindeutig klarzustellen, dass Schulen und Lehrer nicht verpflichtet sind, den Behörden ausländische Schüler zu melden, die sich illegal in Deutschland aufhalten.
Schwere Erkrankungen, ein ausbeuterisches Arbeitsverhältnis oder psychologische Probleme können Illegale in große Bedrängnis bringen. Helfer geraten in eine rechtliche Grauzone. Wer ausschließlich aus humanitären Gründen Ausländern zur Seite steht, die sich illegal in Deutschland aufhalten, darf sich allein wegen dieser Hilfeleistung nicht der Gefahr einer Strafverfolgung ausgesetzt sehen, wenn er keine Rechte Dritter verletzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen