: Landeanflug der Killerfilme
Vom 2. bis zum 9. Juni dreht sich in Hamburg alles um den Planeten Ottensen: Das Kurzfilmfestival startet einen erneuten Angriff auf die Sehgewohnheiten ■ Von Tim Gallwitz
Wenn in Oberhausen die Lichter ausgegangen und die Junitage in Hamburg aufgegangen sind, weiß ein jeder, dass die Zeit der Ottenser gekommen ist. Die Clique aus dem ebenso bunten wie beschaulichen Stadtteil hat dann ihre Hausaufgaben gemacht. Zweimal zehn Tage eingeschlossen in einem Container auf dem platten Lande haben sie tausende eingereichte Filme, meist kurze, gesichtet und einige wenige (aber immer noch eine Menge) ausgewählt. Nun – endlich entlassen aus dem Container in den Stadtteil – laden sie zum Festival des kurzen Films.
Über dreihundert Filme in zehn Disziplinen ... Wer eine übersichtliche Ankündigung des Festivals erwartet, wird die folgenden dürren Worte und Beschreibungen als berufsbedingtes Scheitern – und hoffentlich als Chance – begreifen. Wer sich in früheren Jahren bereits dem Festival als Zuschauer genähert hat, weiß ohnehin, dass Überraschung und Unabsehbarkeit den Charme der kurzen Filme ausmachen. Die unüberschaubare Mannigfaltigkeit und pure Lust an der Variation von Themen, Längen, Oberflächen, Formaten und Materialien kitzelt die Netzhäute und reißt das Sehen aus seinen Gewohnheiten.
Wie üblich versammeln sich die Filme mit Pelzbesatz im „Internationalen Wettbewerb“, auch wenn das dänische Dogma manche Beiträge der Königsdisziplin hat verwackelte Kutten anziehen lassen. Dass Where Women Are Banned, der – zugegeben allzu plakativ – die Politik der afghanischen Taliban kritisiert, vom „Internationalen Wettbewerb“ an das „NoBudget“-Programm zurückgegeben wurde, scheint aber weniger eine Frage der verfilmten Knete zu sein. Die Frage, die zu der Verbannung führte, war wohl eher, wie parteilich ein politisches Ausrufezeichen sein darf ... Vielleicht stößt dies aber auch eine Debatte an, wie viel Politik das Festival verträgt oder tragen will.
Geld stinkt also weniger im „NoBudget“, was dem Mut zum Experiment aber keinesfalls schadet. Not macht erfinderisch und beschränkte Mittel beflügeln die Phantasie. Kracher 1 etwa gelingt es, mit fast beängstigend reduzierter Pyrotechnik eine Folterbank der Spannung zu erzeugen, die so manchen 100 Millionen-Actionknaller alt aussehen lässt. Kein Geld, nein, gar nichts stinkt im allseits beliebten Programm „Flotter Dreier“. Das Gebot, sich in maximal drei Minuten zum Thema „Nachbarn“ auszulassen, lässt auf Vorstadt-Kylie-Minogues, ältere Damen mit Hornhaut an den Ellenbogen oder Duelle mit der Heckenschere hoffen ...
Da der Kurzfilm deutscher Nationalität sich bei den qualitätsbewussten Container-Astronauten nicht so durchsetzen konnte (obgleich es hier mit Abstand die meis-ten Einreichungen gab), haben die Cleverles aus Ottensen die Kategorien „Made in Germany“ und „Made in Hamburg“ eingerichtet. Und während noch das Wörtchen Standort in den Ohren klingelt, flüstert sich die Frage ein, ob Nationalität eine Frage des Passes oder der gefühlten Identität ist.
Dass der diesjährige Länderschwerpunkt Spanien für den dramatischen Rückgang deutscher Mallorca-Buchungen verantwortlich sei, haben die Reiseveranstalter bislang hartnäckig dementiert. Glauben oder nicht, ist hier die Frage, die in der Sektion „Facts & Fakes“ ihr philosophisches Forum findet: Abbild oder Trugbild, Fata Morgana oder Faktum? Nach dem Arbeitssicherheitsfilm Staplerfahrer Klaus – Der erste Arbeitstag (Beitrag im „Internationalen Wettbewerb“ von den Local Heroes Jörg Wagner/Stefan Prehn, gerade zurück aus Cannes) glaube ich zumindest, dass mein Wechsel vom Aushilfspacker im Baumarkt zum Aushilfsautoren richtig war: Lieber drei Finger an der Tastatur als ohne Arm. Denn mit der Tastatur lassen sich auch dufte Filme produzieren: 4Vertigo im „bitfilmFestival“ etwa nimmt sich einige Standbilder aus Good Ol' Hitchcocks Vertigo, vervierfacht und dreht sie, dass es einen schwindelt.
Der Landeanflug aus dem All der bewegten Bilder dürfte im lauschigen Ottensen nicht schwer fallen. Bis auf den Außenposten Metropolis ist es ein Festival der kurzen Wege zwischen Zeise, Lichtmeß und Infocounter in der Friedensallee schnellen Begegnungen (Filmemacher zum Anfassen, freundliche, unterbezahlte, aber engagierte Mitarbeiter) und Partys im Festivalclub in der Harkortstraße 125.
Eröffnung: Sonnabend, 19 Uhr, Metropolis
Programm www.shortfilm.de oder an den Kassen der beteiligten Kinos, Zeise, Lichtmeß und Metropolis, im Vorverkauf (Kartenhaus Schanzenstraße 5, Tel. 040 - 43 30 39) und oder im Büro der KurzFilmAgentur Hamburg (Friedensallee 7)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen