piwik no script img

Diepgen spielt das Unschuldslamm

Geht es nach dem Regierenden Bürgermeister, sind alle an der Haushaltskrise schuld: die Bankprüfer, die SPD, die Umstände. Nur nicht er selbst. PDS sieht Diepgen in ein Paralleluniversum abdriften. Finanzsenator muss sich im Bundestag rechtfertigen

von ROBIN ALEXANDER

Gestern hätte die Stunde des Berliner Abgeordnetenhauses schlagen können. Zum ersten Mal seit der Eskalation der Bankenkrise musste der Regierende Bürgermeister vor die gewählten Vertreter der Berliner treten. Die lesen täglich in den Zeitungen wie ihre Steuergelder durch Fehlspekulation und Korruption in der Berliner Bankgesellschaft verdampfen. Keine schöne Sache, eine Regierungserklärung in solche einer Lage.

„Was der zur Konkursverschleppung noch zu erklären hat, ist sein Rücktritt!“, tönt es Diepgen denn auch von den Oppositionsbänken entgegen, als er in kurzen Schritten die Stufen zum Rednerpult erklimmt. Doch Diepgen ist viel zu clever, um auf irgendwelche Provokationen einzugehen. Mit gesenkter, aber laut vernehmlicher Stimme trägt er ungerührt seinen Text vor. Er ist nicht nur ein geübter Seriösitätsdarsteller, sondern weiß auch, was Abgeordnete und Bürger jetzt von ihm hören wollen. Wer ist es gewesen? Wer hat unser Geld zum Fenster rausgeworfen und uns sogar betrogen? Weil niemand sich einreden lassen wird, der Regierende Bürgermeister habe gar nichts damit zu tun, dass sein Land pleite ist, wendet Diepgen einen ganz alten Trick an: Wenn du selbst nicht mehr aussteigen kannst, ziehe alle anderen mit ins sinkende Boot. Und wen macht Diepgen an diesen Nachmittag im Abgeordnetenhaus nicht alles verantwortlich. Für die Bankpleite: Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften haben falsch geprüft. Edzard Reuter und andere Bank-Aufsichtsräten haben falsch beaufsichtigt. Der Berliner Immobilienmarkt ist eben schwierig. Für die „strukturellen“ Haushaltsprobleme: Die Steuerquote Berlins ist doch schrecklich niedrig. Die Berlinhilfen wurden doch so schnell abgebaut. Andere sind schuld. Der Markt ist schuld. Der Bund ist schuld. Und noch höhere Mächte: Eine „Folge der Teilung“ und damit der deutschen Geschichte sei die Schieflage des Haushaltes. Die Gründung der Bankgesellschaft datiert übrigens auf das Jahr 1993.

„Alle“, alle hätten doch in der Stadt die Kombination aus öffentlich-rechtlicher und privater Bank gewollt, rief der Bürgermeister in den Saal, zitierte Annette Fugmann-Heesing und sprach Michaele Schreyer an. Diese sind von Diepgen und Co. längst aus Berlins politischer Landschaft in höhere Gefilde vertrieben worden. Wie schlimm schätzt Diepgen die Lage eigentlich wirklich ein , wenn er sogar seine alte Feindinnen mit ins Verantwortungsboot zerren muss?

Im Prinzip sind es also alle gewesen und konkret keiner. Und weil es keiner war, kann der Senat auch weitermachen wie bisher. Einziger „Handlungsbedarf“ in Sachen Bankenkrise: „Verantwortlichkeiten“ aufklären, die „notwendigen strukturellen Aufräumarbeiten forcieren“ und „Haushaltsentscheidungen kurzfristig treffen“.

„Das war eine Rede aus dem Paralleluniversum, nicht aus dem heutigen Berlin“, kommentierte PDS-Fraktionschef Harald Wolf fassungslos. Im Abgeordnetenhaus sorgt man sich scheinbar nicht mehr darüber, ob Diepgen die richtigen Entscheidungen trifft. Man sorgt sich, ob er überhaupt noch die Realität wahrnimmt. Selbst der Redner der CDU, Frank Steffel, sah Anlass, ausdrücklich dem „Gerede über Realtitätsverweigerung“ entgegenzutreten. Steffel hat das Amt des Fraktionschef erst vor vierzehn Tagen von der zentralen Skandalfigur Klaus Landowsky übernommen. Vor Stolz über sein neues Amt platzte er fast aus seinem grauen Anzug, tänzelte hinter dem Rednerpult und ließ stärker als der zurückhaltende Diepgen durchblicken, wie man in der CDU tatsächlich über die Krise denkt. „Ein Dämpfer für die Konsolidierungspolitk“ sei das Ganze, man werde sich die Milliarden von anderen Eigentümern der Bankgesellschaft „so rasch wie möglich zurückholen“. Alles halb so wild also. „Von Besserwissern und Schlaumeiern in Bund und Land“ müsse man sich noch lange keine Ratschläge anhören.

Zeitgleich im Reichstag – keine 2.000 Meter Luftlinie entfernt – klang das schon anders. Finanzsenator Peter Kurth (CDU) musste vor dem Bundestag Rede und Antwort zur Berliner Krise stehen: „Berlin braucht die Solidarität der anderen, es missbraucht sie aber nicht.“ Damit kam er vergleichsweise gut an, denn das bedeutet, dass der Bund aktuell kein neues Geld nach Berlin pumpen muss. „Wir fliehen nicht in die Haushaltsnotlage“, erklärte Kurth kämpferisch. Von wegen Bittsteller: Der Finanzsenator des ruinierten Berlins bestand darauf, in dieser Form keine Unterstützung des Bundes zu brauchen.

Verkehrte Welt auch im Abgeordnetenhaus: Da argumentiert die SED-Nachfolgepartei PDS, dass herausgezögertes Sparen unsozial sei und nicht „Modernisierung mit sozialem Gesicht“ (Diepgen). Fraktionschef Wolf mahnt einen CDU-Zwischenrufer: „Sie sind ein Ideologe, aber Sie müssen sich mal mit Geld beschäftigen, das ist nämlich dringed nötig in dieser Stadt!“ Die gute Laune, für die Diepgens Rede in den Reihe der CDU-Abgeodneten gesorgt hatte, störte die grüne Sibyll-Anka Klotz: „Die Lage ist zu ernst für ihre Späße.“

Richtig ernst wirkte Klaus Wowereit, ihr Kollege von der SPD. Er fasste den inneren Unwillen seiner Fraktion zusammen, den Senat weiter zu stützen: „Ich habe immer Schwierigkeiten bei Ihren Reden zu klatschen, Herr Diepgen, obwohl ich doch Ihr Koalitionspartner bin.“

Immerhin hat die SPD den Ernst der Lage erkannt. Mit einer nur vorübergehenden Neuverschuldung rechne er nicht, so Wowereit: „Die sechs Milliarden kommen nicht wieder – die sind weg.“ Einschnitte „für jeden Einzelnen in Berlin“ prophezeite Wowereit. „Eins fehlt: dass sich die CDU von Klaus Landowsky distanziert“, forderte der SPD-Fraktionschef.

Eine selbstgefällige Union, eine in der Koalition gefangene SPD, eine Opposition, die keine Alternative formt. Harald Wolf hatte es da leicht, Stimmung für den von PDS, Grünen und FDP geplanten Volksentscheid für Neuwahlen zu machen: „Das ist heute nicht die Stunde des Parlamentes, es ist die Stunde der Bürgerinnen und Bürger.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen