Schaut auf dieses Hannover

Ab heute wird die Expo gefeiert – als Revival der Weltausstellung vor einem Jahr

Noch einmal ist die niedersächsische Stadt globales Zentrum des nachhaltigen Frohsinns

HANNOVER taz Auf Hannover einzuprügeln ist wohlfeil und stupide – die Süddeutsche Zeitung zum Beispiel soll ein eigenes Ressort dafür haben – und geht sowieso an der Wahrheit vorbei: Die City am Rande des norddeutschen Flachlands ist die Weltmetropole der Herzen. Das bewies die heute auf den Tag genau vor einem Jahr unter dem Jubel der Weltbevölkerung eröffnete Expo 2000, und das beweist das festliche Revival, das gestern Abend exakt an dem Ort startete, wo alles am 31. Oktober unter kollektiven Tränenausbrüchen endete.

Murmeltiertage erster Güte, wie sie die Welt noch nicht erlebt hat: „Die Expo kehrt zurück“ und „Auf die Expo, fertig, los!“, schlagzeilten Organe der Weltpresse, und da ist niemand, der sich nicht vor Entzücken auf die Schenkel schlägt, dass die Weltausstellung drei Tage lang noch einmal von vorne beginnt. Noch einmal wird im Dienste der Weltvölkerverständigung ein Fass ohne Boden aufgemacht, noch einmal spielt die berühmteste Band der Welt, die mit ihrem Megaknaller „Winds of Change“ Glasnost und Perestroika wenn schon nicht erfunden, so doch zumindest wesentlich mitgestaltet hat, noch einmal also spielen die Scorpions ihren Welthit „Moments of Glory“ und andere Kleinode aus ihrer fantastischen Karriere, noch einmal übermitteln die Söhne Mannheims Grüße aus aller Welt, noch einmal tummeln sich international renommierte Karaoke- und Mariachi-Gruppen auf der Plaza Latina – kurz: Noch einmal ist Hannover globales Zentrum des nachhaltigen Frohsinns.

Angeordnet hat das Revival Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel, ein Mann mit dem gewissen untrüglichen Gespür für den Gemütszustand der Bevölkerung. Und die lechzte nach Wiedervorlage. Spätestens als die gesammelten Ausgaben des Expo-Journals erschienen und binnen weniger Sekunden zum meistverkauften Buch der Region wurden, tatsächlich höhere Zahlen erreichten als alle Harry-Potter-Bände zusammen, war die Wahnsinnsparty beschlossene Sache.

Warum auch nicht? Die Menschen haben es verdient, lagen doch nach Ende der Expo Melancholie und Sehnsucht in der Luft, eine Stimmung, die beinahe verhindert hätte, dass Hannover den Schwung, die Dynamik, den Schub, die Chance nutzt, die jene infrastrukturellen Milliardeninvestititionen mit sich brachten. Stichwort nutzen: Der Plan, zukunftsorientierte Institutionen und innovative Unternehmen auf dem Expo-Gelände anzusiedeln, hat funktioniert. Ins Plaza Forum ist der Reisesender TV Travel Shop Germany eingezogen, im Deutschen Pavillon residiert das Learning Lab Lower Saxony, im tschechischen Pavillon die Firma „Digital Haircolor“, um nur wenige Beispiele zu nennen.

Allein notorische Miesmacher und Nörgler weisen auf die 2,32 Milliarden Mark Defizit der Expo GmbH hin. „Ein lächerliches Argument“, sagen die Verantwortlichen, schließlich seien 8, vielleicht auch 80 oder 800 Milliarden Mark Investitionen ins Land geholt worden, die Steuermehreinnahmen nicht gerechnet. Und die angepeilten 40 Millionen Besucher? Zugegeben, die 18,1 Millionen verkauften Eintrittskarten verteilten sich auf 5,3 Millionen Besucher, von denen mehr als ein Drittel aus Niedersachsen kamen. Aus dem Ausland dagegen machten sich offenbar nur 370.000 Menschen auf den Weg ins Glück. Aber was kann Hannover dafür, wenn es weltweit von Ingnoranten umgeben ist?

Seinerzeit waren die Scorpions als sympathische Botschafter um die Welt gereist, um für die Expo zu werben: „In den USA war es so, als wolle man einem Analphabeten die Grundrechenarten beibringen“, erinnert sich Gitarrist Rudolf Schenker.

Ja, das ABC des kleinen Einmaleins beherrscht man hier längst, und dennoch wünschen sich alle „diese kribbelige, unvernünftige, ein bisschen unordentlich-verrückte Expo-Welt zurück“, wie der Chefredakteur des Expo-Journals, Ulrich Neufert, schreibt. Völlig zu Recht wird er für seine Verdienste vom Land Niedersachsen ausgezeichnet. Und auch der Birgit-Breuel-Fanclub hat allen Grund zum Feiern. War die Grand Old Dame der Tabula Rasa schon von Funny van Dannen in seinem Lied „Warum denn kein Wunder“ verewigt worden, so erhält sie nun an diesem Wochenende die niedersächsische Landesmedaille, den höchsten Orden, den das zweitgrößte Bundesland zu vergeben hat. Gratulation.

So schlimm, wie es ausschaut, ist Hannover nämlich gar nicht.

DIETRICH ZUR NEDDEN