: Derridada und Lacancan sind nicht mehr
Deconstructing Jürgen: Der Philosoph Jacques Derrida erhält in Frankfurt den Theodor-W.-Adorno-Preis
Die „Jungkonservativen“, so klang das damals, „begründen einen unversöhnlichen Antimodernismus“. Sie feiern die dezentrierte Subjektivität „und brechen mit ihr aus der modernen Welt aus“. So sprach Jürgen Habermas vor mehr als zwanzig Jahren. Gemeint waren die französischen Philosophen Jacques Derrida und Michel Foucault: eine Art Exkommunikation der Franzosen aus der Gemeinde rechtgläubiger Aufklärer, ausgesprochen 1980 in den steinernen Hallen der Frankfurter Paulskirche.
Als Habermas den Bannfluch verlas, erhielt er den Adorno-Preis der Stadt Frankfurt. Der damalige Händedruck zwischen dem linken Philosophen und dem CDU-Oberbürgermeister Wallmann wurde auch als Zeichen der Versöhnung wahrgenommen – in einer Stadt, in der die ideologischen Gräben nach 1968 tiefer waren als anderswo. Am 22. September 2001, mehr als zwanzig Jahre nach Habermas, wird Jacques Derrida den mit 100.000 Mark dotierten Adorno-Preis entgegennehmen. „Für die Stadt Adornos und der Frankfurter Schule wird es eine große Ehre, Jacques Derrida zur Überreichung des Preises willkommen zu heißen“, so die CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth. Man kann nicht umhin, die Auszeichnung als Zeichen der Normalisierung wahrzunehmen – in einer Stadt, in der die theoriepolitischen Gräben zwischen „Kritischer Theorie“ und „Poststrukturalismus“ tiefer waren als anderswo. Gestritten haben die Geisteswissenschaftler freilich an den Universitäten der ganzen Republik; jene Formulierung, die die Aversion gegen die „Franzosentheorie“ auf bezeichnendem Niveau zusammenfasst, gelang einem Berliner Germanisten: alles „Lacancan und Derridada“.
Die Popkultur eignete sich, wenn schon nicht das Denken, so doch den Chic der Postmoderne schneller an. „I’m in Love with Derrida“ hieß 1982 ein programmatischer Song von Scritti Politti. Und Woody Allen verarbeitete, nachdem er schon Freuds „Gesammelte Werke“ popularisiert hatte, die Differenzphilosophie in Filmen wie „Deconstructing Harry“. Bedarf es markanterer Indizien, um die Einschätzung zu bestätigen, es handele sich hier um einen der „bedeutendsten Philosophen der Gegenwart“ (Petra Roth)? Heute jedenfalls ist die Derrida-Schule etabliert; der Dekonstruktivismus in den Humanwissenschaften besitzt seinen eigenen Textkanon und strenge Lektüreregeln.
Wenn die philosophische Tätigkeit darin besteht, Begriffe zu erfinden, ist Derrida eines der fleißigsten Mitglieder seiner Zunft. Phono-, Logo-, Phallo- oder Phallogozentrismen lassen sich erst entziffern, seit Derrida die philosophischen Klassiker einer grundlegenden Neu-Lektüre unterzog. Von Platon bis Husserl, so seine Kritik, hat die Tradition den geschriebenen Buchstaben zugunsten des gesprochenen Wortes abgewertet. Diese Kluft markiert Derrida mit seinem zentralen Begriff der „différance“ – im Unterschied zu „différence“ – und rehablitiert die Schrift. Die politische Relevanz seiner Arbeiten tritt spätestens seit Beginn der Neunzigerjahre in Essays wie „Gesetzeskraft“ deutlich hervor.
Eine Woche nach der Preisverleihung an Derrida findet übrigens eine Konferenz über Foucault statt, am Frankfurter Institut für Sozialforschung, mit echtem wissenschaftlichen Staraufgebot. Ob das der Beginn einer neuen deutsch-französischen Freundschaft ist? RENÉ AGUIGAH
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