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„Labour holt sich Stimmen zurück“

Der Glasgower Politikprofessor John Curtis über die Bedeutung der britischen Unterhauswahlen für die schottische Politik, das Wahlverhalten der Schotten und die Chancen der Konservativen, in Schottland größte Oppositionspartei zu werden

taz: Wie wichtig sind die britischen Parlamentswahlen am 7. Juni für Schottland?

John Curtice: Wenn Sie damit meinen, ob sich bei der schottischen Repräsentation in London viel verändern wird, muss man sagen: Nein, diese Wahlen sind nicht so wichtig für die schottische Politik. Die Wahlen sind aus einem anderen Grund wichtig. Das erste schottische Parlament seit rund 300 Jahren hat jetzt die Hälfte seiner Amtsperiode hinter sich, 2003 wird wieder gewählt. Und bei den britischen Unterhauswahlen kämpfen die schottischen Parteien um eine gute Ausgangsposition für 2003.

Wählen die Schotten bei Unterhauswahlen anders als bei den Wahlen für das schottische Parlament?

Ja, eindeutig. Die Labour Party ist weit weniger populär bei Wahlen für das schottische Parlament, während die Schottische Nationale Partei SNP zulegen kann. Man muss sich nur die schottischen Wahlen von 1999 ansehen: Damals ging Labours Anteil im Vergleich zu den Unterhauswahlen 1997 um sieben Prozent runter, die SNP gewann genauso viele Prozentpunkte hinzu. Dieses Muster wird am Donnerstag bestehen bleiben, das zeigen Umfragen. Labour wird Stimmen zurückholen.

Warum ist das so?

Es gibt zwei Gründe. Die SNP hat ein Problem: Jeder weiß, dass sie nicht die nächste Regierung in London stellen wird, sie kandidiert ja nur in den 72 schottischen Wahlkreisen, und damit kann sie nicht gewinnen. Der zweite Grund ist bei Labour zu suchen: Die Wahlen von 1999 haben gezeigt, dass die Wähler nicht sicher waren, ob die Labour Party ihren Einfluss im schottischen Parlament nutzen würde, um Schottlands Interessen im Vereinigten Königreich zu vertreten. Genau das erwarten die schottischen Wähler.

Haben die Parteien ein besonderes Wahlprogramm für Schottland?

Eine Sache, die sich aufgrund der Teilunabhängigkeit herauskristallisiert, sind die öffentlichen Dienste. Der große Unterschied in Labours Wahlprogramm ist, dass Blair in England signalisiert hat, dass er den Privatsektor stärker in den Bereichen Gesundheit und Bildung mit einbeziehen will. Das steht nicht im Labour-Wahlprogramm für Schottland. Darum müsste sich ja auch das schottische Parlament kümmern. Aber der Hauptgrund ist, dass Labour in Schottland eine Koalition mit den Liberalen Demokraten eingehen musste, und die sind dagegen. Auch ist die Opposition gegen eine Beteiligung des Privatsektors in Schottland viel stärker als in England.

Was ist das große Thema für Schottland bei dieser Wahl?

Die große Frage in Schottland ist die Ausgabenpolitik. Wie sollen Schottlands Ausgaben finanziert werden? In Schottland ist der Haushalt nicht direkt durch Steuern abgedeckt, sondern durch Zuschüsse aus London. Historisch hatte Schottland immer höhere Pro-Kopf-Ausgaben als der Rest des Vereinigten Königreiches. Das ist reduziert worden, und deshalb hat eine Debatte eingesetzt. Soll das schottische Parlament eigene Steuern erheben dürfen, vielleicht sogar alle Steuern? Die SNP argumentiert für Steuerhoheit, die Labour Party verteidigt den Status quo.

Muss man noch über die Tories reden?

Ohne Zweifel ist es für die Konservativen eine sehr schwierige Wahl. 1997 haben sie keinen Sitz in Schottland gewonnen. Nach den neuesten Umfragen sieht es so aus, als ob die Tories wieder keinen Sitz in Schottland gewinnen werden, und das wäre eine Katastrophe für die Partei. Denn es geht bei diesen Wahlen auch darum, wer die größte Oppositionspartei in Schottland ist. In den vergangenen Jahren hat die SNP diese Position errungen. Wenn die Tories 2003 von einer möglichen Unbeliebtheit der Regierung in London oder Edinburgh profitieren wollen, müssen sie versuchen, jetzt den zweiten Platz in Schottland zu erringen, aber es sieht nicht so aus.

Zurzeit scheint ja niemand Labour etwas anhaben zu können, selbst die Seuchen nicht.

Diese Regierung hat unter einer Verkettung unglücklicher Ereignisse zu leiden. Einige sind schlimmer als andere – nämlich die, die die Behauptungen der Regierung widerlegen. So stehen die Probleme im Gesundheitssystem im Widerspruch zu dem, was die Labour-Regierung versprochen hat, denn sie wollte das Gesundheitssystem verbessern. Die Wähler sind mit Labour nicht uneingeschränkt zufrieden. Sie glauben, dass Labour die öffentlichen Dienste nicht so verbessert hat, wie sie erwartet hatten. Aber dann schauen sie auf die Konservativen und sagen: Wir sind uns bei Labour nicht sicher, aber wir glauben auf keinen Fall, dass die Tories es besser machen würden.

Es könnte sein, dass Labour mit einer noch größeren Mehrheit ins Unterhaus zurückkehrt. Wäre das gut für Britannien?

Das würde bedeuten, dass das Unterhaus weniger Einfluss hat. Es wäre schwieriger, die Regierung zu kontrollieren. Aber man darf nicht vergessen, dass diese Regierung keine Mehrheit im Oberhaus hat. Deshalb wird das Parlament noch einen gewissen Einfluss auf die nächste Labour-Regierung haben. INTERVIEW: RALF SOTSCHECK, MITHU SANYAL

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