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Mairandale jetzt als Poster

Die Polizei sucht seit gestern mit Fahnungsfotos nach Steinewerfern vom 1. Mai. Insgesamt 16.000 Plakate mit Ablichtungen von 85 mutmaßlichen Randalierern werden in der ganzen Stadt geklebt

von HEIKE KLEFFNER

Polizeipräsident Hagen Saberschinsky ruft zur „öffentlichen Fahndung“ nach mutmaßlichen Steinewerfern vom 1. Mai auf – und alle sollen mitmachen: Insgesamt 16.000 Fahndungsplakate mit 85 Fotos zumeist junger Frauen und Männer, die als Straftäter am Abend des 1. Mai in Kreuzberg auf Polizeivideos erfasst wurden, werden seit gestern in der Stadt verteilt: in Arbeits- und Sozialämtern, an öffentlichen Gebäuden und in allen Polizeidienststellen sowie an die LKAs anderer Bundesländer. Unter der Überschrift „Die Polizei bittet um Mithilfe: Krawalle am 1. Mai 2001 in Kreuzberg 1.000 DM Belohnung“ spekulieren die Ermittler auf Hinweise aus der Bevölkerung.

Potenziellen Hilfssheriffs werden auf den Plakaten und den Internetseiten der Polizei teils verschwommene, teils glasklare Aufnahmen von Menschen geboten, die sich offenbar unbeobachtet glaubten: Einige Porträtierte halten eine brennende Zigarette, andere einen Stein in der Hand. In allen Fällen ist die so genannte Öffentlichkeitsfahndung durch richterlichen Beschluss genehmigt worden.

Ein Dutzend verwertbare Hinweise seien schon nach der Veröffentlichung von sechs Fahndungsfotos kurz nach dem 1. Mai eingegangen, teilte Saberschinsky mit. Eine siebenköpfige Arbeitsgruppe bei der Polizei und eine Abteilung der Staatsanwaltschaft werte Videobänder nach für die Strafverfolgung brauchbaren Bildern aus. Gesammelt würden auch Fotos potenzieller Zeugen. Stolz präsentierte er zudem erste Ergebnisse: Insgesamt fünf der 616 festgenommenen „Störer“ seien so als Steinewerfer identifziert worden, darunter ein 18-jähriger Hesse und ein 19-jähriger Berliner.

Die Vorwürfe, die der Fahndung zu Grunde liegen, klassifizierte Saberschinsky als „schwere Straftaten“. Oberstaatsanwalt Jürgen Heinke präzisierte: Gegen die Abgebildeten werde unter anderem wegen Landfriedensbruchs oder Körperverletzung ermittelt. Je nach Delikt und Vorstrafen drohten Mindeststrafen von einem halben Jahr Haft.

„Der Staat muss sich abwehrbereit zeigen“, begründete Saberschinsky die ungewöhnliche Maßnahme. Die beste Prävention sei immer noch Repression. Er zeigte sich empört darüber, dass sich die öffentliche Diskussion nach dem 1. Mai vor allem auf die Polizeitaktik konzentriert hätte und nicht auf die Gewalttäter. Saberschinsky appellierte an die Medienvertreter, die Fahndung zu unterstützen: „Damit leisten Sie einen wirklichen Beitrag an der Gesellschaft.“ Gegen eine Zeitschrift, die dazu aufgefordert hatte, die Gesuchten an sichere Orte zu bringen, hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen versuchter Strafvereitelung eingeleitet.

Der Bundesvorsitzender des Republikanischen Anwaltsvereins, Wolfgang Kaleck, kritisierte die Aktion als „völlig überzogen“. Üblicherweise würde nur bei Schwerstkriminalität öffentlich gefahndet. „Polizeiführung und Innensenat spielen von der Polizei provozierte spontane Krawalle künstlich zu schweren Straftaten hoch“, so Kaleck.

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