: Formvollendete Technik des Delay
Das Prinzip der Synergie in klassischer Umsetzung: Wohlklang-Elektroniker Shantel ist mit Band zu Gast im Schlachthof ■ Von Thorsten Bathe
Shantel§lebendige-Vielfalt.de, so könnte die E-Mail-Adresse von Stefan Hantel lauten. Der Frankfurter Plattendreher und Elektronik-Musikant reflektiert auf seinen Alben seit Jahren Erfahrungen, die er als weltweit gefragter DJ gesammelt hat. Und nicht von ungefähr nutzte er Anfang der 90er Jahre, als sich das Selbstbild des Musikers durch den Siegeszug der digitalen Technik radikal veränderte, schon früh die einmalige Chance: Man musste kein Instrument mehr beherrschen, um Musik produzieren zu können. Traditionelle Produktionsweisen wurden hinfällig, als sich Sampler und Kompositionssoftware vom bloßen Werkzeug zum klangvollen Ausdrucksmittel weiterentwickelten.
Wie weit mittlerweile die Möglichkeiten der Klanggestaltung fortgeschritten sind, belegt eindrucksvoll Shantels neue Produktion Greatdelay, an der er zwei Jahre lang in Tel Aviv getüftelt hat. Der Ortswechsel war kein Zufall. „Ich wollte eine Situation schaffen, in der man viele verschiedene musikalische Elemente kombinieren kann. Das Lebensgefühl in Tel Aviv ist prädestiniert dafür: Mediterraner Charakter trifft auf Großstadt, ein sehr starker orientalischer Einfluss vermischt sich mit amerikanischer und europäischer Mentalität“, erklärt er gegenüber dem Magazin JazzThing seinen Umzug vom Main ans Mittelmeer.
Inspiriert vom angenehmen Klima und der energetischen Atmosphäre einer Stadt an der, tja, Schnittstelle zwischen Okzident und Orient, experimentierte Shantel mit akustischen und digitalen Sounds, mit kleinen Ensembles und großen Orchestern und mit befreundeten Gast-Musikern wie der israelischen Sängerin Efrat Ben-Zur. Das schwerwiegendere Unterfangen war aber sicherlich die konsequente Nutzung des Delay-Effektes, jenes verzögerten Halls, der die Töne ähnlich wie moderne Dubplates zum Schwingen bringt. Und ganz nebenbei eine ansteckende Leichtigkeit in die sich allzu oft finster gerierende Maschinenmusik dringen lässt.
Fazit: alle Experimente sind gelungen. Shantel war zur richtigen Zeit mit dem richtigen Beat am richtigen Ort. Er hat das Prinzip der Synergie verstanden. Selten haben unterschiedliche Stile wie Jazz, TripHop, Dub, Trance und sogar Klassik-Anleihen mit diversen orientalischen, afrokubanischen und europäischen Elementen so formvollendet zusammengewirkt. Greatdelay ist vom Opener „L'intro“ bis zum letzten Stück „Tiens“ Unterhaltung der intelligenten Sorte: harmonisch und nicht öde, ohrenschmeichelnd und kein biss-chen gewöhnlich.
Auf die Live-Darbietung darf man jetzt gespannt sein. Wenn schon keine traditionelle Produktionsweise mehr angesagt ist, dann aber doch wenigstens die klassische Art und Weise des Vortrags. Für seine Konzerte hat Shantel nämlich eine komplette Band angekündigt. Nur noch eines muss man für den Abend wohl wissen: grobe Posen sind ihm in jedem Falle ein Greuel.
Mittwoch, 20 Uhr, Schlachthof
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen