piwik no script img

Von Seeleuten und Subkultur

Schwimmender Konzertort: Die MS Stubnitz liegt wieder in Hamburg  ■ Von Katja Strube

Tote Fische transportiert die Stubnitz schon lange nicht mehr. Stattdessen drei fertig eingerichtete Veranstaltungsräume unter der Wasseroberfläche, außerdem eine Druckerei, ein Fotolabor, Videoworkstations, Metall-, Elektro- und Tischlerwerkstätten sowie ein Radiostudio. Wenn das Motorschiff Stubnitz heute an der Überseebrü-cke festmacht, schwimmt dort für vier Wochen ein (sub-)kultureller Mikrokosmos, in dem nicht nur täglich – außer montags – Live-Konzerte, Musikveranstaltungen, Ausstellungen und Filmvorführungen stattfinden. Die Stubnitz wird mit dem Aufenthalt außerdem ihrer Auflage gerecht, mindestens drei Monate im Jahr unterwegs zu sein, damit sie ihre „Klasse“ nicht verliert, vergleichbar dem TÜV beim Auto. Ohne „Klasse“ gibt es von behördlicher Seite keine Fahne, unter der sie schippern könnte, also dürfte sie dann nur noch in ihrem Rostocker Heimathafen vor Anker liegen.

Doch „ein Schiff muss fahren, eindeutig“, meint Martin Eckert, der für die Koordination der verschiedenen Produktionen zuständig ist und nebenbei aus den Mitschnitten der unzähligen Konzerte, die auf der Stubnitz schon stattgefunden haben, ein Archiv aufgebaut hat. Und fahren muss es nicht nur, damit die „Klasse“ erhalten wird, sondern auch, um den Lebensunterhalt der Leute zu sichern, die auf ihr leben. „Wir müssen das Schiff in Gang halten, damit es uns ernährt“, sagt Eckert. 14 Leute wohnen ständig auf dem Kahn, davon sind vier versierte Seemänner, die zum Teil schon seit 30 Jahren zur See fahren. Der Rest der Crew ist hauptsächlich für den Kulturbetrieb zuständig, durch den sich die Stubnitz finanzieren soll. Dieses Ziel liegt jedoch noch in weiter Ferne: Der letztjährige Aufenthalt der Stubnitz im Hamburger Hafen hat 270.000 Mark gekostet; trotz großen Zulaufs kam durch Eintrittsgelder und Getränkeverkauf nur ein Bruchteil davon wieder herein. Auch Sponsoren und öffentliche Gelder aus Kulturtöpfen konnten bisher das erwirtschaftete Minus nicht auffangen. Allein die im letzten Jahr nötige Dockung des hochseetauglichen Stahlkolosses verschlang 100.000 Mark – ein Spottpreis, der nur dadurch erreicht werden konnte, dass alle Reparaturen von der Crew selbst vorgenommen wurden. Die Stubnitzer stecken immer wieder Privatvermögen ins Schiff. An Bord leben zu können, das Boot in Bewegung zu halten, ist „Lohn genug“, so Eckert. Dabei treffen sich die Interessen der Seeleute, denen es vornehmlich um den Erhalt des alten DDR-Fischfangschiffes geht, und diejenigen der kulturell Tätigen nur anhand der ökonomischen Notwendigkeit: „Die Veranstaltungen interessieren mich nicht, da will ich nichts von wissen“, machte der Käpt'n letztes Jahr unmissverständlich klar. Nur als Einnahmequelle stellt das Kulturprogramm für alle an Bord einen Bezugspunkt dar, denn „wenn zu wenig Promotion gemacht wurde, gibt es Eintopf“, erläutert Eckert. Und das kommt so selten nicht vor, bewegt sich die Arbeit auf der Stubnitz doch, so Eckert, „immer auf der Ebene des Worst-Case-Szenarios“.

In diesem Jahr hofft die Stubnitz-Crew auf noch größere Resonanz beim Hamburger Publikum. Neben Konzerten von Nova Huta, Universal Gonzalez und Stau, Les Frères Checkolade sowie vielen anderen legen fast täglich DJs mit Schwerpunkt Drum'n'Bass und Elektro auf, eine Sonnendecksbar hat tagsüber geöffnet, und das Freie Sender Kombinat (FSK) zieht im Juni aufs Schiff, sendet aus dem Bordstudio und überträgt zahlreiche Veranstaltungen live auf 93 MHz (101,4 MHz im Kabel). Am 30. Juni schippert die schwimmende Konzerthalle weiter nach Rotterdam, wo sie Teil der „Kulturhauptstadt Europas 2001“ sein wird, und von dort weiter nach Newcastle und London.

Mastodon: The Heater, Zimbo, Zu, typodia visualsoundlounge:Donnerstag, 20 Uhr; Powertrust Showcase mit Nova Huta, Neoangin, Loma u.a.: Freitag, 22 Uhr; CSD queer Decksbar mit Kaffee, Kuchen, Musik: Sonnabend, 10 Uhr, Pudel-Night (Hiphop & Dancehall): Sonnabend, 22 Uhr; Stubnitz International Seaman's Club mit John Wayne shot me, Austin Lace, Sonntag, 20 Uhr; Electrosun, 333m/sec, Uri Geller Fry + special guest: Mittwoch, 21 Uhr, alle MS Stubnitz, Überseebrücke (neben der Cap San Diego)

Weitere (aktualisierte) Termine unter www.stubnitz.com

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen