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Neustart in den Öko-Atomstaat

HEW will von Atomkraftwerken nicht lassen. Aufstieg zum Konzern von europäischer Dimension geht weiter  ■ Von Sven-Michael Veit

Manfred Timm lässt sich von politischen Moden nicht beirren. „Wir glauben an eine Renaissance der Kernenergie“, stellte der Vorstandschef der Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) gestern klar. Sein Unternehmen werde „bereitstehen“ für den Zeitpunkt, an dem „die unbestreitbaren Vorzüge der Kernenergie“ – und diese seien zuvörderst CO2-Reduzierung und die Schonung fossiler Ressourcen – „gesellschaftlich wieder positiv bewertet werden“.

Um für einen eventuellen Neustart in diesen Öko-Atomstaat gerüstet zu sein, würden die HEW sich „das Knowhow bewahren“, versicherte Timm auf der Bilanzpressekonferenz der HEW in der Handelskammer. Zwar würden auch die Hamburger Atomspalter den mit der Bundesregierung ausgehandelten „so genannten Kernenergie-Konsens“ am 11. Juni unterzeichnen, obwohl dieser „ein historischer Fehler“ sei. Aber, so Timms Einschätzung, „dieser politisch gewollte Ausstieg ist nicht unumkehrbar“. Schließlich könne sich „das politische Klima ändern“.

Und dazu, so darf vermutet werden, wollen die HEW als Teil der künftigen „dritten Kraft“ auf dem deutschen Energiemarkt kräftig beitragen. Der neue Großkonzern „von europäischer Dimension“, an dessen Bildung der einstige Hamburger Lokalstromer und sein schwedischer Mehrheitseigner Vattenfall (71,3 Prozent; Hamburg 25,1%, Kleinaktionäre 3,6%) seit knapp einem Jahr arbeiten, werde bis Anfang 2003 in drei Phasen entstehen. Das ostdeutsche Energieunternehmen Veag haben die HEW bereits zu 87,5 Prozent unter Kontrolle, die Laubag gar zu 92,5 Prozent, die Braunkohlegesellschaft Mibrag kommt demnächst hinzu.

Zusammen mit dem US-Giganten Mirant werden sich die HEW „die unternehmerische Führung“ des Berliner Monopolisten Bewag (je 43 Prozent) teilen. Alles zusammen werde in einer Holding unter Führung von Vattenfall in der Hauptstadt gebündelt. Durch den parallelen Umzug der HEW-Zentrale nach Berlin würden bis zu zehn Prozent der jetzt 4260 Arbeitsplätze von der Elbe an die Spree verlagert werden. Damit sei „die historische Chance“ wahrgenommen worden, so Timm zufrieden, aus den „regional ausgerichteten HEW einen Konzern von europa-tauglichen Ausmaßen“ zu machen.

Die Energieproduktion werde sich vervielfachen von 13,3 Milliarden Kilowattstunden (Mrd. KWh) auf 76 Mrd. KWh, der Umsatz von 1,5 Mrd. auf 5,1 Mrd. Euro, der Vermögenswert von 3,3 auf 17 Mrd. Euro, die Beschäftigtenzahl von 4.260 auf etwa 23.500. Letztere jedoch soll wieder sinken. In den nächsten Jahren werde kos-tenbedingt „eine moderate Personalanpassung“, so Timm, „auf unter 20.000 Mitarbeiter“ erfolgen.

Nicht zuletzt, damit weiterhin was rausspringt. Der Überschuss 2000 ist mit satten 68 Mio. Euro genauso hoch wie im Jahr davor, die Ausschüttung bleibt unverändert auf dem Rekordniveau der davor liegenden beiden Jahre: Die HEW-Aktionäre dürfen sich auf 27 Prozent Dividende freuen.

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