: Das Hossa-Syndrom
Den Griechen geben, was sie wünschen: George Dalaras gastierte in Berlin mit Kuschelrock, einem Coverversionen-Potpourri und seinen größten Hits
von DANIEL BAX
So wird ein Star begrüßt. Lediglich der Kunstnebel bewegt sich auf der dramatisch ausgeleuchteten Bühne, doch schon setzt auf den Rängen rhythmisches Klatschen ein. Die Vorfreude steigert sich, als die einhellig in schwarz gekleidete Band die Bühne betritt, und die beiden Gaststars Panos Katsimihas und Babis Stokas ans Mikrofon treten. Und sie erreicht ihren Höhepunkt, als Dalaras selbst, mit gebührender Verzögerung, in deren Mitte Position bezieht.
Schlicht, aber elegant gekleidet, in schwarzer Hose und weißem Kurzarmhemd, gleicht er auf den ersten Blick eher einem Tavernenkellner als dem Megarockstar, der er in Griechenland ist. Fast ein Monument ist er dort, seit er in den Siebzigern vom Interpreten folkloristischen Liedguts, das von Komponisten wie Theodorakis und Chatzidakis mit höheren Kunstweihen versehen wurde, zum Popstar für die Massen aufstieg. Und wie eine klassische Statue wirft er auf den Konzertkarten und dem Titelbild des Programms seinen Blick heroisch in die Ferne. Seine Musik, die sich mal mehr, mal weniger explizit auf griechische Traditionen wie den Rembetiko bezieht, galt anfangs als Protestmusik. Indem sie vom Los der Emigranten und dem Leben in der Fremde erzählte, bot sie jedoch auch Identifikationsstoff für die im Ausland verstreuten Griechen, die es als Arbeiter oder Studenten in die Diaspora verschlagen hatte. Heute ist seine Bedeutung wohl vor allem eine historische, obschon der einundfünfzigjährige Dalaras in den letzten Jahren versucht hat, durch Kooperationen mit jüngeren Kollegen am Puls der Zeit zu bleiben.
Ansonsten hat er sich mit seiner Megastarrolle abgefunden, und muss sich nichts mehr beweisen. In der ersten Hälfte seines Konzerts lässt er seinen Partnern, dem schon leicht ergrauten Panos Katsiminhas und dem fülligen, bärtigen Babis Stokas von der Gruppe Pyx Lax, den Vortritt. Die beiden Sänger entsprechen nicht gerade dem Bild von Musikern, die bei der griechischen Jugend Anklang finden. Doch ihre unaufdringlichen Rockballaden sind beliebte Begleiter beim Kuscheln in den Partykellern Athens.
Die Stücke dagegen, die Dalaras selbst für die erste Hälfte seines Konzerts ausgewählt hat, zeigen zuallererst, dass ihm mit den Neunzigerjahren irgendwann die Ideen ausgegangen sein müssen. Da wird Sting gecovert und Goran Bregovics’ balkanischer Filmmusikbombast adaptiert, da wird „Hasta Siempre“, die kubanische Hymne auf den Comandante Che Guevara, aus der Mottenkiste linker Revolutionsromantik hervorgekramt und der Hit „Ya Rayah“ bemüht – ein Potpourri international bewährter Gassenhauer.
Nach der Pause fragt er dann rhetorisch in den Saal: „Wollen wir zu den alten Stücken zurück?“ Zur Antwort brandet tosender Beifall auf – nicht gerade eine Bestätigung für einen Musiker, der hofft, noch heute über ein relevantes Repertoire zu verfügen. Es ist das Hossa-Syndrom, das einst schon Rex Gildo zur Verzweiflung trieb: Immer nur auf die alten, großen Hits festgelegt zu werden. Doch George Dalaras ficht das nicht an. Er stellt bloß eine Bedingung: „Ihr müsst mitsingen.“ Umgehend schwillt im Saal ein vielstimmiger Chor an, der fortan wie verwandelt ist. Zu den ersten Takten eines bekannten Stücks erklimmt ein junger Mann die Bühne und setzt zu sirtakiartigen Tanzschritten an. Lange darf er das aber nicht, dann reißt ihn ein massiger Saalschützer unsanft von der Empore und aus seiner Verzückung. Doch die hat längst den ganzen Saal ergriffen, der glücklich in emotionalem Ausnahmezustand wogt. Tief haben sich die Erkennungsmelodien von George Dalaras ins kollektive Gedächtnis eingegraben, nun flammen mit den Feuerzeugen auch die Erinnerungen wieder auf. So wird aus dem Gastspiel des hellenischen Idols doch noch ein Heimatabend der Nostalgie.
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