: Bittere Pille für New Labour
Der aus Protest gegen New Labours Gesundheitspolitik angetretene Arzt Richard Taylor erringt einen deutlichen Sieg
In jeder britischen Wahlnacht gibt es irgendwann einen Moment, in dem sich der Nebel windiger Wähleranalysen plötzlich lichtet und den Blick auf die wirklich wichtigen Dinge freigibt. Diesmal geschah das, als Richard Taylor als unabhängiger Kandidat mit überwältigender Mehrheit Labour aus einem mittelenglischen Wahlkreis vertrieb und damit ein Zeichen setzte für eine der großen Debatten der britischen Politik in den nächsten Jahren: die Reform des maroden Gesundheitswesens.
Der 66-jährige Arzt Richard Taylor kandidierte im Wahlkreis Wyre Forest südwestlich von Birmingham aus Protest gegen die Schließung der Notaufnahme des lokalen Krankenhauses. Er bekam 58 Prozent der Stimmen und kippte damit Labour-Justizstaatssekretär David Lock, der an zweiter Stelle auf 20 Prozent kam und erst 1997 den Wahlkreis von den Konservativen geholt hatte.
In seiner lakonischen Siegesrede sagte Taylor zum Wahlergebnis: „Ich sehe dies als eine enorme Reaktion des Volkes gegen eine sehr mächtige Regierung. Wir haben gezeigt, dass es möglich ist, gegen das System anzutreten und zu gewinnen.“
Der Grund für diesen Überraschungssieg – zugleich die einzige Niederlage eines Regierungsmitglieds – war einfach: Im September 2000 schloss die Labour-Regierung die Notaufnahme des lokalen Krankenhauses, das bislang auf 192 Betten 43.000 Patienten pro Jahr behandelt hatte. Die 100.000 Einwohner der Stadt Kidderminster müssen nun ins 25 Kilometer entfernte Worcester fahren.
Dort entsteht derzeit in Kooperation von Staat und Privatsektor ein neues Krankenhaus, 1997 von Blair stolz präsentiert als Testlauf der Sanierung des staatlichen britischen Gesundheitswesens mit privatem Kapital – ein Vorhaben, das im Zentrum von Blairs Plänen für die kommende Legislaturperiode liegt. Statt 49 Millionen Pfund, wie einst geplant, kostet die neue Klinik allerdings inzwischen 116 Millionen, und sie wird auch erst 2002 fertig. Kidderminster steht so lange unterversorgt und entsprechend wütend da.
Richard Taylor, von 1972 bis zu seinem Ruhestand 1995 Arzt in Kidderminster, hat mit seiner Kampagne gegen die Schließung der Notaufnahme breite Unterstützung gefunden – von den örtlichen Liberalen bis zu Robert Plant von der Rockgruppe Led Zeppelin. Taylor sammelte Unterschriften und gründete für die Kommunalwahlen 1999 die Protestinitiative „Independent Kidderminster Hospital and Health Concern“, die aus dem Stand 42 Prozent der Stimmen in der Stadt holte und 2000 noch zulegte. Der an der Universität Cambridge ausgebildete Arzt mit dem trockenen Humor verweist auf seine intime Kenntnis der Krankengeschichten seiner Wähler als Beweis seiner Basisverwurzelung.
Taylor wird im britischen Unterhaus als einziger Parteiloser den Platz von Martin Bell einnehmen. Der ehemalige BBC-Journalist, der 1997 als Unabhängiger einen Konservativen mit einer Anti-Korruptions-Kampagne besiegte, verlor diesmal. Die Korruption war die Achillesferse der Konservativen – das Gesundheitswesen dürfte die Labours werden. Wie Bell ging Taylor übrigens in der feinen Leys School von Cambridge zur Schule. Die von grünen Wiesen umgebene private Elitehochburg erweist sich als Hort erfolgreicher Systemveränderer.
DOMINIC JOHNSON
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen