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Aus der Traum vom Fernzug

■ Es war der letzte InterRegio, den Bremerhaven und Cuxhaven gesehen haben / die taz hat – gemiensam mit dem VCD – seine letzte Reise aufs Abstellgleis begleitet

amstag, 12.57 Uhr - Ankunft InterRegio „Wattenmeer“. Zum letzten mal saust der IR 2533 in Bremen ein, der täglich von Saarbrücken nach Cuxhaven rollte. Bis Samstag. Mit dem Fahrplanwechsel am 10. Juni wird der Fernzug, der auf seiner Reise zur Nordsee jedesmal fünf Bundesländer durchquerte, endgültig aus den Kursbüchern der Bahn eleminiert. Abschiedskomitee am Bremer Hauptbahnhof. Eine kleine Trauergemeinde des Verkehrsclub Deutschland (VCD) macht letzte Fotos von der Abfahrt in Bremen. Noch einmal ist der Bahnsteig voll Touristen, meist Rentner und mit viel Gepäck beladen, wollen rauf zur Küste. „Adieu InterRegio“ steht auf einigen VCD-Transparenten.

12.59 Abpfiff in Bremen. Die Schaffnerin zuckelt seit einem Jahr mit diesem InterRegio durch die halbe Republik. Mit dem Fahrplanwechsel, wechselt auch sie – „in die Fahrkarten“. Noch kann sie das gar nicht fassen. Mancher ihrer Kollegen wurden viele, viele Jahre zwischen Saarbrücken und Cuxhaven eingesetzt. Heute zum allerletzten Mal.

Drinnen ist es voll. Touristen, vor allem aus dem Ruhrgebiet, haben sich seit Stunden zwischen Reisetaschen, Zeitungen, und Bordverpflegung ausgebreitet. Ihre Rückreise in zwei oder drei Wochen dürfte beschwerlicher werden. Ohne umzusteigen geht es jedenfalls nicht mehr zurück in den Pott. Mit diesem InterRegio wird Cuxhaven vom Fernverkehr abgehängt. Auch Bremerhaven geht es nicht besser: InterRegios wie ICEs wenden ab jetzt in Bremen.

Draußen taucht der Bahnhof Osterholz-Scharmbeck auf. Es ist 13.11 Uhr. Nicht mehr als ein Zweiminutenhalt. Dann ist der letzte hellbau-blau-weiß gestreifte Zug auch schon wieder weg. Ein alter Mann mit Kamera hält das noch einmal fest, fürs Fotoalbum. Die kleine Verkehrsclub-Gemeinde macht sich inzwischen auf durch einen Trauerzug durch den Zug.

Sie verteilen Äpfel – weil Cux- und Bremerhaven in den „sauren Apfel“ ohne Fernverkehr beißen müssen – und informieren über die Bahn-Pläne. Die Bahn wollte die Fern-Züge mit Nahverkehrsfunktion nicht mehr allein bezahlen. Der „Wattenmeer“ InterRegio war der Bahn zu teuer, zu unrentabel, zu wenig ausgelastet. „Im Sommer waren wir immer gut besetzt, nur ab Oktober wurde es mau“, erinnert sich die Schaffnerin. Aber die Länder wollten ihr Säckel für den Regionalbereich nicht noch mehr belasten und die IRs bezahlen.

Einem Bremerhavener klappt ungläubig der Kiefer runter: „Wie? Keine InterRegios mehr? Und der ICE?“ Nee, erklärt Jens Volkmann vom VCD. „Der letzte ICE ist heute um 7.28 Uhr nach Bremen gefahren. Den gibt's jetzt auch nicht mehr.“ Der Unterkiefer sackt noch ein bisschen mehr. Draußen auf dem Gang fragt eine Frau, wie sie denn dann am besten wieder zurück kommt, nach Oberhausen. „In 14 Tagen fährt der Zug doch wieder, oder nich?“

Ab Sonntag soll ein komischer Bus nach Cuxhaven fahren. Aber an diesem letzten Samstag ist der InterRegio noch einmal voll. Voller als selbst der VCD erwartet hatte: Die Äpfel sind ruckzuck alle, selbst die Flugblätter reichen nur für vier Waggons.

13.36 Uhr Bremerhaven Hauptbahnhof, 16 Minuten Aufenthalt. Vorne muss eine Diesellok ando-cken, weil die Strecke bis Cuxhaven nicht elektrifiziert ist. Das dauert und macht die Fahrtzeit nicht gerade attraktiv. Auf dem Bahnsteig reckt eine Frau die Faust: „Macht weiter so“, ruft sie den VCDlern zu. Weiße Taschentücher winken im Wind. Der Zugchef meldet sich über Fernsprecher. Diesmal würden alle Waggons bis Cuxhaven durchfahren. Sonst wurden zwei immer in Wremen abgekoppelt, weil der Bahnsteig in Cuxhaven zu kurz ist. Jetzt auf seiner letzten Fahrt darf der IR komplett bleiben.

14.46 Uhr, endgültig Ende. Der IR 2533 hat sein Ziel erreicht. Die Äpfel sind lange aufgegessen. Über die Bahn wurde viel diskutiert und geschimpft. Jetzt ist Schluss. Zurück geht es nur noch mit Regionalexpressen, mit Umsteigen in Bremen oder Hamburg und vielleicht noch Münster, je nach Ziel.

Um kurz vor vier Uhr setzt sich der InterRegio noch einmal in Bewegung – leer. Es geht zurück nach Koblenz, ins Werk. Dort werden die Waggons neu gespritzt. Roter Streifen auf Cremeweiß statt blau mit hellblau auf Schmutzweiß. Künftig werden die Wattenmeer-Waggons verstreut an Intercities gehängt. Irgendwo. Nur nicht mehr zwischen Bremen und dem Norden. pipe

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