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Krieg im Körper

■ Die „Galerie im Park“ auf dem Gelände des ZKH-Ost zeigt die Ausstellung „Erlebnis Krankheit“ mit Arbeiten von Dix, Beckmann, Hrdlicka und Künstlern aus der DDR

Etwa ab 1880 kam es zu einer Gründungswelle psychiatrischer Anstalten an den Rändern der Städte. Dorfähnliche dezentrale Anlagen wurden mitten in die Natur gepflanzt, nicht nur um die Irren loszuwerden, sondern auch, weil man sich mit Aufkommen der Reformbewegung von frischer Luft einen Heilungserfolg versprach. Jener martialisch wirkende Fixierstuhl, der im kleinen Psychiatriemuseum des Zentralkrankenhauses Ost zu sehen ist, wurde im 1904 eröffneten Vorgängerkrankenhaus des ZKH-Ost, dem St.-Jürgen-Asyl (im Volksmund auch „Ellen“ genannt, nach dem Stadtteil), nicht mehr eingesetzt. Stattdessen setzte man auf eine Art Beschäftigungstherapie. In den vom Jugendstilarchitekten Hugo Wagner entworfenen idyllischen Häusern mit gemütlichen Terrassen, Balkonen, Fachwerk, runden Fenstern und bordürenartigem Zierwerk vergnügten sich die Kranken in Bäckerei, Tischlerei oder Schusterwerkstatt – was nichts daran änderte, dass gerade die oft jahrzehntelang zwangseingewiesenen Underdogs, Obdachlosen oder Alkoholiker das System als „gemeingefährliches Tollhaus“ erlebten.

Zwischen einem Wäldchen mit efeubewachsenen Eichen und Rhododendren gab es auch einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Kuhstall. Der wurde umgewidmet zur „Galerie im Park“. Die Flure der benachbarten um 1980 gebauten 1.000-Betten-Betonburg sind geschmückt mit freundlicher, massenkompatibler Kunst. Die Galerie im Park dagegen favorisiert Brandaktuelles, etwa Installationen oder Videokunst. Und manchmal holt Museumschef Achim Tischer auch Ausstellungen passend zum Ort. Nach einer Ausstellung der fünf psychiatrisierten Bremer KünstlerInnen, die in der legendären Prinzhorn-Sammlung vertreten sind, ist jetzt die umfangreiche, hochkarätige Sammlung von Zeichnungen und Grafiken des Dresdner Instituts für Medizingeschichte zu sehen. Sie heißt ein wenig euphemistisch „Erlebnis Krankheit“, die düsteren Arbeiten zeigen aber eher die Katastrophe Krankheit. Wer durch eine lebensbedrohliche Krankheit ein neues Verständnis seines Lebens entwickelt, macht wohl eher einen Film wie der an Aids verstorbene Derek Jarmen oder schreibt ein Buch wie der Tuberkulose-geschädigte Thomas Bernhard. „Wahnsinn kann der Durchbruch sein“, schrieb Rainer Kipphart in seinem Schizo-Roman „März“.

Das Bild aber wühlt zwangsläufig in Narben, Beinstümpfen, von Tuberkulose geschwärzten Augenhöhlen, schreienden Mündern. Lediglich der stets kitschbereite Paul Wunderlich hat in seiner Lithografie „Intensivmedizin“ dem Grauen einen gewissen sex appeal abgerungen. Bei den tragischen Inhalten der anderen Bilder ist es kein Wunder, dass ein Schwerpunkt der Sammlung im verzweiflungswütigen Spätexpressionismus der 20er Jahre liegt. Blätter von Käthe Kollwitz, Ernst Barlach, Alfred Kubin, Martha Schrag oder von Conrad Felixmüller und Max Beckmann, die den 1. Weltkrieg als Sanitäter haut- und blutnah mit-krieg-ten, thematisieren den Krieg in Körper und Seele von Soldaten und Zivilis-ten. DDR-Kunst der 80er Jahre bildet den zweiten Schwerpunkt der Sammlung – und oft sind sich die beiden Bereiche stilistisch ziemlich nahe. Das hat keineswegs nur zu tun mit dem Ost-Realismus. Gerade jene Maler, die sich mit den eigenen folternden Schlafstörungen, mit dem eigenen lebensbedrohlichen Magengeschwür oder dem Krebstod der eigenen Ehefrau auseinander setzen, haben offenbar wenig Lust, in abstrakte Welten abzuschweifen, sondern stellen sich ihrer schmerzhaften Fleischlichkeit ohne Umweg, als hätten sie Susan Sonntags Warnung im Kopf, die Krankheit als Metapher zu missbrauchen. Und selbst Alfred Hrdlicka, einer der wenigen Wessis in der Ausstellung, nähert sich der verheerenden psychotischen Krankheit seiner Frau mit Bildern von aufgeschwemmtem Fleisch. Tröstlich sind diese Bilder nicht. Dafür wehren sie sich wacker gegen das Verdrängen des Elends in dieser Welt. bk

Bis 19. Juli, Mi-So 15-18h. 14.6., 20h: Vortrag des Lübecker Prof. Engelhardt „Krankheit, Schmerz und Lebenskunst“. Wer die Galerie besucht, möge auch im 1. Stock die Dauerausstellung zur Krankenhausgeschichte – inklusive der 16 Frauen, die im Dritten Reich bei Zwangssterilisationen verstarben – angucken. Führungen am 13. +20.6., 16h.

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