: Der Nelson Mandela der USA
■ Seit 20 Jahren sitzt Mumia Abu-Jamal in der Todeszelle. Kurz vor der möglichen Wiederaufnahme seines Verfahrens ist im Bremer Atlantik-Verlag eine Biogrmaphie erschienen
Nein, er ist noch nicht tot, immer noch nicht. Mumia Abu-Jamal sitzt nach wie vor in seiner Todeszelle im US-Staat Pennsylvania und fiebert zusammen mit SympathisantInnen in aller Welt dem Tag X entgegen. An diesem Tag X wird ein Gericht nach einer Anhörung über die Wiederaufnahme seines Verfahrens entscheiden. Vor fast zwanzig Jahren ist Abu-Jamal für den Mord am Polizisten Daniel Faulkner zum Tode verurteilt worden. Genauso lange beteuert er seine Unschuld. Das Gerichtsverfahren war dubios und in den Augen vieler JuristInnen sogar rechtswidrig. Selbst der Deutsche Bundestag hat im Dezember vergangenen Jahres für ein neues Verfahren plädiert.
So viel fremde Einmischung in die inneren Angelegenheiten der USA ist ungewöhnlich. Aber der Fall ist besonders prominent. Der Afroamerikaner gilt als der bekannteste (politische) Gefangene seit Nelson Mandela. Der selbst hat sich auch schon für ihn eingesetzt. So haben viele Menschen weltweit den selbst gewählten Afro-Namen schon gehört: Mumia Abu-Jamal oder „Mumia, der Vater von Jamal“. Durch regelmäßige Kolumnen und Buchveröffentlichungen trägt der Journalist und ehemalige Aktivist der Black Panthers selbst dazu bei. Man hat also schon von ihm gehört, aber wenig über ihn. Das will nun Terry Bisson mit seiner Biographie ändern, die jetzt in deutscher Übersetzung im Bremer Atlantik-Verlag erschienen ist.
Der als Science-Fiction-Autor bekannte Bisson begibt sich mit Abu-Jamal „On a Move“. „Wenn du über den Mars schreiben kannst, kannst du auch die 60er Jahre beschreiben“, hat der Biographierte seinem Biographen gesagt. Und so unternimmt Bisson eine Reise auf einen für ihn fremden Planeten: Mit einem Zeitraffer durch die Unterdrückungsgeschichte der schwarzen US-AmerikanerInnen landet der weiße Autor in den „PJs“, den vorwiegend von AfroamerikanerInnen bewohnten Sozialsiedlungen Philadelphias. Dort ist Abu-Jamal als Wesley Cook 1954 geboren und aufgewachsen.
In einer Sprache, die selbst in deutscher Übersetzung an einen Sprechgesang erinnert, beschreibt Bisson das gesellschaftliche Klima vor und während der so genannten Rassenunruhen der 60er Jahre. Es ist der Bericht aus einem Kriegsgebiet. Polizeiliche Willkür gegen Schwarze und eine extreme Chancenungleichheit gehören zum Alltag. In der ehemals größten US-Stadt Philadelphia, die in dieser Zeit einen wirtschaftlichen Niedergang erlebt, kommt das Kommando eines berüchtigten Polizeichefs und späteren Bürgermeisters hinzu: Frank Rizzo, der Attila den Hunnen nach eigener Aussage „wie eine Schwuchtel aussehen lassen“ wollte, ließ selbst Schülerdemonstrationen zusammenprügeln. Und der Schüler Wesley Cook alias Mumia Abu-Jamal war fast von Anfang an dabei.
Terry Bissons Text ist mit Leichtigkeit, manchmal fast flapsig geschrieben. Leider hält der Biograph von Objektivität und manchmal gebotener Distanz genauso wenig wie Abu-Jamal, der schon im Alter von 15 Jahren für eine Black-Panther-Zeitung schrieb und später als Radio-Moderator bekannt wurde. So bleiben wichtige Fragen offen. Das FBI, ohne das Morde an Bürgerrechtlern wohl nie aufgeklärt worden wären („Mississippi Burning“), erscheint bloß als rassistische Vereinigung. Der Streit, der zur Auflösung der Black Panther führte, ist Bisson keine Analyse wert. Und den Prozess nach der Nacht vom 9. Dezember 1981 handelt der Autor in nur wenigen Zeilen ab.
Während die Willkür dieses Gerichtsverfahrens mit Ignoranz vielleicht angemessen behandelt ist, wünscht man sich beim Lesen manchmal, dass Bisson Abu-Jamal näher kommt. Doch ein reportagen- oder porträthaft geschriebenes Kapitel von einem Gefängnisbesuch sucht man vergeblich. So ist „On a Move“ eine Biographie mit vielen Schwächen. Der leichte, erzählerische Schreibstil und die gelungene Beschreibung der Epoche von 1960 bis 1980 machen das Buch jedoch so lange lesenswert, bis eine bessere Biographie erscheint. Christoph Köster
Terry Bisson: „On a Move“, Atlantik-Verlag Bremen, 25 Mark. Weitere Infos zu Abu-Jamal und dem Tag X unter www.mumia.de
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