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leben in funnylandYVES EIGENRAUCH über die kunst des ramschens

Sieg, klack, klack, Sieg

wir fahren nach berlin, wir fahren nach berlin. wir fuhren nach berlin. ende mai in einem berliner hotelzimmer: während wir uns auf unser pokalspiel vorbereiten, ergreift mich freitagabend der wunsch auszugehen. das auf kipp gestellte fenster lässt geräusche in den raum dringen; die nase in den spalt gesteckt, kann ich das pulsierende leben aufsaugen. gerne wäre ich dabei. doch: es wird nicht sein. weder werde ich im kader für das pokalspiel sein noch wird mir die möglichkeit gegeben werden, berlin am abend zu erleben.

alle sind mitgefahren, elf, sieben und der rest. absehbar, was geschehen wird, denn doof sind auch wir nicht. widerwillig verbleibe ich im hotel, um etwas zu tun, das ich in zehn jahren profifußball immer verdammte: auf dem zimmer kartenspielen, mit allem drum und dran. die enttäuschung, meine enttäuschunng, war so groß, dass es zu diesem unterfangen hatte kommen müssen. allerdings reichte sie nicht dafür, mich einfach wegzuschleichen. soll nicht ungängig sein. soll nicht sein, was verboten ist. spielhölle!

schachteln, flaschen, karten. man sagte mir, dass das spiel ramschen hieße. ohhh, was kann ich ramschen. dreißig runden gespielt, der pokal war mein. sieg, klack, klack, sieg.

eine schöne erinnerung, die ich nicht missen wollte. es ist nämlich immer schön, etwas dazuzulernen. so schlimm ist das kartenspielen gar nicht! na, wenigstens fast nicht. ist doch was.

an berlin erinnere ich mich gerne zurück, und nicht erst seit unserem pokalsieg! als zwölfjähriger führte mich der fußball zum ersten mal in diese stadt, d-jugend-turnier, stern 1900. ich wohnte irgendwo in steglitz bei den eltern eines spielers, detlef hieß er, detlef doberschütz. hallo! namen vergesse ich selten. gesichter noch weniger. wir gehören zu denjenigen, die die mauer haben noch stehen sehen. und zu den stolzen besitzern eines ein-pfennig-stückes mit veränderter prägung, den vier sektoren. allerdings verstehe ich nicht, dass unser staat die zerstörung von zahlungsmitteln zuließ, kleinvieh macht doch auch mist. schließlich wurden sicherlich eine menge geldstücke in dieser form umfunktioniert? tolle prägeautomaten, tolle erinnerung. tolle stadt; muss sein, weil: jahre später sollte mich ein fünf-cent-stück erinnern! mit der freiheitsstatue als prägung; große stadt, weltstadt. der traum aller aufrechten deutschen. berlin.

die goldenen zitronen. sechs gegen sechzig millionen. vor welchem mob auch immer. ja, ja, berlin. ich war auf der ifa und schlief im adlon, in dem hotel, in dem meine nachbarin in den vierziger jahren logierte. ich besuchte ein marylin manson-konzert in der wuhlheide und schlief im circus, einem youth-hostel in mitte. sehr nette leute waren da, meinen schlafraum teilte ich mit fünf weiteren menschen und hatte ein schlechtes gewissen, weil ich irgendjemandem einen günstigen schlafplatz weggenommen hatte. egoist. das war vor zwei jahren. das andere vor vier jahren. das erste war vor achtzehn jahren. und vor ’nem halben monat.

Fotohinweis: yves eigenrauch, 30, ist angestellter von schalke 04 und kommt hin und wieder ganz gerne nach berlin

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