piwik no script img

Nur zu gut verständliche Verrücktheit

■ Jugendtheater vor dem Schauspielhaus: Susanne van Lohuizens „Der Junge im Bus“

Die Wege für erfolgreiches Kinder- und Jugendtheater nach Hamburg war schon immer ein bisschen länger. Schön, dass es nun auch der 14 Jahre alte Bühnenhit Der Junge im Bus hierher geschafft hat. Das Schauspielhaus hat sich seiner angenommen – kurz bevor Autorin Suzanne van Lohuizen in der nächsten Spielzeit am Haus arbeitet. Äußerliche Spezialität: Die Geschichte um den Jungen Richard, seine Mutter und seine Betreuerin spielt tatsächlich in einem Bus, und der kommt auf Bestellung. Das Theater parkt vor der Schultür.

Außen ein stinknormaler Linienbus, innen eine kuschelige Wohnlandschaft mit Bildern an den Wänden, Krimskrams in Gepäcknetzen, Schlaf- und Kochecke, Dusche und Bücherregal: Richards Reich. „Ich bin verrückt“, sind seine ersten Worte inmitten der individuell platzierten Sechstklässler. Zuvor hat er die unvorbereiteten Schüler vom Pausenhof abgeholt. Wer lärmt oder albert, wird von Oliver Bokern angemacht, kurz und scharf. So verlangt es seine Rolle eines jungen Mannes, der sich für einen 12-Jährigen hält, der hin und her zappelt, Argumenten unzugänglich regelmäßig fantasiert und halluziniert. Dann erscheint ihm seine Mutter, Theresa Berlage, kalt und herrisch in wechselnden schrillen Kostümen, um ihn zurechtzuweisen oder zu strafen. Die sanfte Karolien, die den Bus durch die Lande chauffiert und Richard freundlich, aber bestimmt betreut, teilt die Visionen nicht. Sarah Masuch verleiht ihr Engelsgeduld beim Versuch, den meist von Gewaltanfällen begleiteten Wahn zu bannen.

Nach wenigen Minuten haben die 30 Gymnasiasten ihre Unruhe abgelegt. Sie stehen voll im Bann des quirligen Berichts über Richards verpfuschte Kindheit: Mutter mit Putzfimmel und Strafexzessen und Vater unbekannt sind dabei die wichtigsten Positionen. Schuld- und Sehnsuchtsgefühle wallen auf und verknäulen sich hoffnungslos. Die Unentrinnbarkeit aus dem Visionskreislauf vom Betroffenen selbst erklärt zu bekommen macht die Spannung des Stücks aus. Der Blick von innen auf die beschissene eigene Geschichte, die darüber hinaus weisende Alltagszüge für jeden Schüler trägt, überführt den anscheinend Verrückten ins Reich der nur zu gut Verstehbaren. Der Raum und die Dichte des Spiels nehmen zusätzlich gefangen. Ob allerdings Jochen Strauchs Regieidee, Karolien im Schlussbild entgegen der Vorlage als Engel entschweben zu lassen, aufgeht, muss dahin gestellt bleiben. Die plötzliche Poesie der Perspektive auf eine glückliche Entwicklung birgt die Gefahr, die Versatzstücke der berichteten Kindheit irreal werden zu lassen. Und Geschichten wie die gehörte sind leider alles andere als Fiktion. Oliver Törner

Bus vorm Schauspielhaus: 15. + 22. Juni, 20 Uhr; Aufführungs-Bestellung: Tel. 248 711 12

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen