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Wer hat Angst vor Biotechnologie?

■ Gerhard Schröders Staatsminister für Kultur, Julian Nida-Rümelin, referierte in Bremen über die Zukunft der Gentechnik

Angst vor Biotechnologie? Nicht mit Julian Nida-Rümelin! Der Kulturstaatsminister der rotgrünen Bundesregierung hat auf einer Diskussionsveranstaltung der Bremer Universität die forsche Position seines Bundeskanzlers zwar mit vorsichtigen ethischen Bedenken gewürzt. Doch das Trickreiche: Mit seinem Rekurs auf die humanis-tische Tradition entschärft er nicht nur das PRO der Ökonomen, sondern auch das CONTRA der Ökologen: Er verurteilt deren prinzipelle Beharren auf dem Naturzustand. Denn Zivilisationsgeschichte bedeute immer Befreiung von den zufälligen, oft unfeinen Ergebnissen der Evolution. Egoismus, Neid, Fressen und Gefressenwerden sind Natur und doch zu überwinden. Da ist dann die Idee der Befreiung von zufälligen Genfestlegungen nicht weit.

Sehr deutlich widersprach er der Argumentation Schröders, Deutschland müsse aufgrund der internationalen Konkurrenz die Gentechnik forcieren. Es mache keinen Sinn, Dinge übers Knie zu brechen, nur um eine Nasenlänge vorn zu sein. Der Minister vertraut aber darauf, dass eine ohne Zeitdruck geführte Auseinandersetzung über ethische Kriterien Unsicherheiten bezüglich Schaden und Chancen klären kann. Auch für Nida-Rümelin ist die Vorstellung von lauter blonden, blauäugigen Norm-Kindern eine „Horrorvision“. Allerdings scheint der Staatsminister keine allzu großen Befürchtungen zu haben, dass dieses Schreckensbild bald real werden könnte. Schließlich werde es auch weiterhin Menschen mit Behinderung geben, weil neunzig Prozent aller Behinderungen nicht genetischer Natur sind. Damit versuchte Nida-Rümelin, die im Publikum deutliche Angst vor nicht zu bremsender Selektion zu beruhigen.

Weder glaubt der Staatsminister, dass sich das kollektive Selbstverständnis der Menschheit mit der Biotechnologie grundlegend ändern müsse, noch befürchtet er, dass „genetisches Herumdoktern“ einen neuen Menschen prägen könne. Wenn Menschen geprägt oder manipuliert würden, dann durch Bildung, Erziehung oder – im schlimmsten Fall – durch massive psychologische Eingriffe. Auch die Befürchtung, dass der Missbrauch von Biotechnologie im Endeffekt eine Neuauflage nationalsozialistischer Zustände bedeuten kann, teilt der Philosophie-Professor nicht: Die Hitler-Diktatur sei ja auch ohne genetisch manipulierte Menschen möglich gewesen, so sein Argument. Eineiige Zwillinge zeigen für Nida-Rümelin zudem, dass auch genetisch identische Menschen unterschiedliche Persönlichkeiten herausbilden können.

Auf die Frage, nach welchen Kriterien die Risiken der Gentechnik abgeschätzt werden können, musste Nida-Rümelin dann allerdings passen: Er habe keine Kriterien, die müssten ja gerade erst erarbeitet werden. Eine umfassende Technikfolgen-Abschätzung sei darüber hinaus kaum möglich. Nida-Rümelins Vortrag war der Auftakt zu einer neuen Veranstaltungsreihe zu Zukunftsfragen der Uni Bremen. ube

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