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: JFK und das Schmalzgebäck

■ Die Familienforschung ist das Hobby und der Beruf des New Yorker Filmemachers Alan Berliner. Ausgehend vom Privaten - der eigenen Familie jüdisch-polnischer Herkunft - langt Berliner in seinen intelligenten Filmessays zwangsläufig beim Allgemeinen an: der Geschichte des 20. Jahrhunderts und dem Umgang mit der Erinnerung. Hatte Berliner in „Nobody‘s Business“ noch versucht, seinen knarzigen, außerordentlich unwilligen - und ungemein komischen - Vater Oscar über dessen Leben und Erfahrungen zu befragen, so handelt der neue Film „The Sweetest Sound“ zunächst einmal von ihm selbst: Denn Alan Berliner ist es leid, unentwegt mit anderen Alan Berliners verwechselt zu werden. Da gibt es gleichnamige Fotografen, Ärzte, Rechtsanwälte - und Alain Berliner, den französischen Regisseur des Erfolgsfilms „La vie en rose“. Da drängt sich natürlich sofort die Frage auf: Wer ist denn nun der wahre Alan Berliner? Also forscht er im Internet, entdeckt, dass es dort für die Suche nach dem eigenen Namen den schönen Begriff “Egosurfing“ gibt, und fragt Leute auf der Straße, was sie mit dem Namen Alan Berliner verbinden. Er schreibt hunderte von Briefen an die Alan Berliners dieser Welt und lädt schließlich zwölf seiner Namensvettern zum Essen ein, um Verbindendes und Trennendes zu dokumentieren. Überdies forscht der Regisseur in seiner amüsanten Essay-Collage nach den Ursprüngen seines Namens und zeigt sich stolz auf JFKs berühmten Satz: “Ich bin ein Berliner.“ Doch dann wird ihm klar, dass dies im Deutschen auch „Ich bin ein Schmalzgebäck“ heißen kann...

„The Sweetest Sound“ 14. 6. - 20. 6. im Fsk am Oranienplatz 2

■ Gerade ist der Kameramann Sacha Vierny verstorben, da ergibt sich eher zufällig noch einmal die Möglichkeit, zwei seiner bekanntesten Werke in der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Alain Resnais zu bewundern: In „Hiroshima mon amour“ verdichten sich Viernys ruhig und gleichförmig dahingleitende Kamerafahrten durch die Straßen von Nevers mit den Hiroshima-Bildern seines Kollegen Takahashi Michio für die Protagonistin - eine französische Schauspielerin, deren japanischer Liebhaber sie an ihre erste Liebe, einen deutschen Soldaten während der Okkupationszeit, erinnert - zu einer Einheit von Ort und Zeit. Auch in „Letztes Jahr in Marienbad“ gleitet Viernys Kamera in kühler Eleganz über die mit dem „Zierrat einer anderen Zeit“ überbordenden Flure der mondänen Schlosshotels wie durch labyrinthische Straßen und versinnbildlicht die verworrenen Träume, Fantasien und Erinnerungen der Charaktere.

„Hiroshima, mon amour“ 19. 6. im Freiluftkino Museumsinsel, 20. 6. im Balázs; „Letztes Jahr in Marienbad“ 18. 6. - 19. 6. im Filmmuseum Potsdam

■ Wenn kettenrauchende Mönche in trauter Pokerrunde ihre Devotionalien zum Einsatz bringen (“Ich eröffne mit einer Madonna“), dann ist der spanische Surrealist Luis Buñuel nicht fern, der in der 1974 entstandenen französischen Produktion „Das Gespenst der Freiheit“ der verhassten Bourgeoisie den Spiegel vorhält, indem er in locker miteinander verknüpften Episoden ihre Rituale und Wertvorstellungen ins Gegenteil verkehrt: von der Abendgesellschaft, die ganz ungezwungen auf Klosetts Platz nimmt, und über die Produktion menschlicher Exkrementeplaudert (“10 Millionen Tonnen täglich“) bis zum Ehepaar, das ein unachtsames Kindermädchen entlässt, weil ein Mann ihrer Tochter im Park „obszöne“ Fotografien geschenkt hat. Doch statt der erwarteten Pornografie zeigen die Postkarten nur die Sehenswürdigkeiten von Paris...

„Das Gespenst der Freiheit“ 15. 6. im Filmtheater am Friedrichshain, 17. 6. im Delphi, 18. 6. im Thalia Babelsberg

Lars Penning