: Fluggesellschaft fliegt nicht mehr
1990 übernahm die spanische Iberia die Aerolíneas Argentinas. Jetzt steht die argentinische Fluglinie vor dem Aus
BUENOS AIRES taz ■ Gerade einmal 34 Passagiere hatte der Flug 6844 der spanischen Fluggesellschaft Iberia an Bord, als er mit über einer Stunde Verspätung am Mittwochabend vom internationalen Flughafen Ezeiza in Buenos Aires abhob. Aufgebrachte Mitarbeiter der ehemals staatlichen Fluggesellschaft Aerolíneas Argentinas hatten erneut den Flughafen blockiert. Der Grund ihrer Entrüstung: Alles deutet darauf hin, dass Aerolíneas Argentinas ab heute alle Flüge einstellen wird.
Denn heute ist Stichtag für die Zahlung von 13 Millionen Dollar an andere Fluggesellschaften, die in den vergangenen Monaten Aerolíneas-Passagiere mitgenommen haben. Geld, das nicht in der Firmenkasse ist. Erst Anfang dieser Woche wurden die internationalen Verbindungen nach Madrid und Rom eingestellt, weil Aerolíneas Argentinas die Spritrechnungen nicht mehr bezahlen konnte. Zuvor waren bereits die Routen in die USA, nach Australien und Brasilien lahmgelegt.
Dabei war Aerolíneas Argentinas bis zum Jahr 1990, als die Firma privatisiert wurde, ein angesehenes Unternehmen, das jährlich 90 Millionen Dollar Gewinn in die Staatskasse flog. Die Firma war schuldenfrei, bediente ganz Südamerika und halb Europa mit Direktverbindungen. Doch mit der Privatisierung unter Präsident Carlos Menem kam der Absturz. Menem, der letzte Woche wegen Waffengeschäften verhaftet wurde, ging es damals nicht darum, ein defizitäres Staatsunternehmen abzustoßen. Er wollte einen Politikwechsel hin zu Marktöffnung und Deregulierung. Die Bilanz nach elf Jahren im Besitz der spanischen Staatsholding Sepi für Aerolíneas: 900 Millionen Dollar Schulden und monatliche Verluste in Höhe von bis zu 25 Millionen Dollar. Pikantes Detail: Sepi ist Eigentümer der spanischen Fluglinie Iberia und schluckte mit Aerolíneas Argentinas einen wichtigen Konkurrenten.
Ganze 1,6 Milliarden Dollar wurden für die Privatisierung an argentinischen Staatsschulden eingetauscht, weitere 130 Millionen sofort bezahlt. Ein Jahr nach der Privatisierung tauchte plötzlich ein 130-Millionen-Dollar-Kredit auf der Soll-Seite der Bilanz von Aerolínas auf, den die spanische Holding vor dem Kauf aufgenommen hatte. Weitere 78 Millionen gesellten sich hinzu. Name des Postens: „Kosten für die Privatisierung.“ Für den Chef der Mechanikergewerkschaft, Ricardo Cirello, ist der Fall klar: „Es handelt sich bei diesem Posten um Schmiergelder, die an die Regierung Menem gezahlt wurden.“
Iberia zerstückelte ihren Neuerwerb wie einen Jumbo beim D-Check. Sämtliche Abteilungen, vom Reservierungssystem bis hin zur Abwicklung der Luftfracht, wurden an Subunternehmer vergeben. Wertvolle Immobilien in London, Paris, Frankfurt, Rom und Madrid wurden abgestoßen. Zu guter Letzt verkaufte Iberia die komplette Flugzeugflotte. Aerolíneas besitzt noch ein einziges Flugzeug, alle anderen sind von der spanischen Iberia geleast. Iberia hat die lukrativen Routen von Aerolíneas Argentinas übernommen. Auch gibt es mit Aerolíneas Argentinas kaum noch direkte Routen in andere südamerikanische Länder. Nach Kolumbien, Peru, Venezuela und Ecuador geht es nur noch mit Zwischenstopp in Chile, Peru oder Brasilien.
Spanien ist der größte Investor in Argentinien. Die Strom-, Wasser- und Gasversorgung sind in der Hand spanischer Unternehmen, ebenso wie fast die Hälfte des Telekommunikationsmarktes, und im vergangenen Jahr wechselte auch noch der argentinische Mineralölkonzern YPF komplett zur spanischen Repsol über. Bei vielen dieser Geschäfte ging es nicht mit rechten Dingen zu. Aber der Fall von Aerolíneas Argentinas ist in Argentinien zum Symbol geworden: für Privatisierungen in Piratenmanier. INGO MALCHER
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