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Weil ich keine Lesbe bin . . .

. . . hat die Szene ein Problem mit mir

von SIMONE SCHMOLLACK

Dies ist mein erstes Outing. Hiermit bekenne ich ebenso freimütig wie feierlich: Ich bin keine Lesbe. Und hoffe damit, allen möglichen und unmöglichen Fragen, entsetzten Reaktionen und Tuscheleien endgültig vorgebeugt zu haben.

Ich habe etwas gewagt, was in der Homoszene unüblich und wenig gelitten ist: Ich habe mich eingeschlichen. Nein, nicht als Undercoveragentin, um die Szene subversiv von unten aufzuweichen. Sondern einfach nur als Journalistin. Mein Einstieg in die Szene begann mit meinem Berufsantritt. Das war vor zwölf Jahren. Damals schrieb ich auf den „Unter vier Augen“-Seiten der einstigen DDR-Jugendtageszeitung junge Welt über das, was Menschen in der Regel am meisten interessiert: Liebe, Sex und Partnerschaft. Kein Problem, das nicht auf meinem Tisch landete: zu große und zu kleine Brüste, gar keine oder Dauererektionen, Stellungskriege, Schönheitswahn, Jugendkult.

Binnen kürzester Zeit avancierte ich zur Partnerberaterin im Kollegen- und Freundeskreis. Und musste mich fortan mit Fragen herumschlagen wie: Was mache ich nur, damit er beim Sex meine Speckfalten nicht sieht? Wie kriege ich sie ins Bett, ohne vorher stundenlang Spaghetti Carbonara und drei Flaschen Rotwein aufgetischt zu haben? Wie schaffe ich es, meine drei Liebhaber zeitlich zu koordinieren?

Über den Umstand, dass schon damals Lesben und Schwule zu meinem Freundes- und Bekanntenkreis gehörten, hatte ich mir bis dahin keine Gedanken gemacht. Das war so normal wie der sexuelle Wissensdurst meiner Kollegen in der Mittagspause. Bis ein schwuler Freund von mir wissen wollte, welche Regeln es beim Klappensex zu beachten gebe und ob ich ihm etwas über das neue Cruisingmobil erzählen könne. Konnte ich natürlich nicht. Doch als verantwortungsbewusste Journalistin recherchierte ich. Beim Berliner Senat, der kurz zuvor das Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen gegründet hatte, bei Heinz Uth, dem ersten „Schwulen“-Beauftragten der Berliner Polizei, bei Homovereinen und Gruppen. Ich huschte nachts durch den Friedrichshain, hüpfte durch Diskotheken und trank mich durch den „Stillen Don“, das „Valentino“ oder die „Schoppenstube“. Auf meinem Nachttisch stapelten sich Szeneblätter, Homoratgeber und Bedienungsanleitungen für Dildos und schwule Drogen. Und auf meinen Schultern lasteten all die Dramen und Tragödien, die mir meine homosexuellen FreundInnen bis zur letzten Träne aufbürdeten.

In der jungen Welt (und später in anderen Zeitungen) forderte ich in flammenden Pamphleten die politische, rechtliche und soziale Gleichstellung von Lesben und Schwulen, klärte über Aids und Prävention auf. Kurz nach der Wende noch versehen mit albernen Zeichnungen und Karikaturen, die heute jedes siebenjährige Schulkind als „Popelkram“ deklarieren würde. Für meine lesbischen und schwulen RedaktionskollegInnen war das immer okay. Sie hätten es ja auch selbst (und besser) machen können. Aber im Gegenteil: Sie empfanden die Tatsache, dass sich eine heterosexuelle Frau „ihren“ Themen widmet, sogar als „erfrischend“.

So sagte ich auch Ja, als einer meiner schwulen Freunde, selbst Journalist, mich bat, doch auch mal für die einschlägige Presse zu schreiben. Auf diese Weise kam ich zu meinem ersten Editorial in einem Berliner Schwulenblättchen, wenig später zu einer monatlichen Kolumne in einer Dortmunder Gazette. Solange ich den „Außenblick“ wahrte, beschwerte sich niemand aus der Szene. Als ich aber im Auftrag der überregionalen lesbisch-schwulen Monatszeitung Queer unterwegs war und stärker die Felder absteckte, die die Szene für sich auserkoren hatte, wandte sich das Blatt schlagartig.

Egal ob ich mit den schwulen Fischern an der Nordsee, den lesbischen Holzfällerinnen im Thüringer Wald oder der multisexuellen Percussiongruppe in Dessau schwatzte – sobald ich mich auf Fragen hin als heterosexuell outete, wurde ich merkwürdig angestarrt: Wie kann es sein, dass eine Hete in der Homopresse schreibt? Darf die das überhaupt? Wie kommt die dazu? Und da ich bis zu meiner Offenbarung stets alle Informationen bekam, die ich haben wollte, danach aber nur noch mitleidig belächelt wurde, versuchte ich, diesen Zeitpunkt immer ganz weit nach hinauszuschieben.

Bis es nicht mehr ging. Und dann bekam ich Sätze zu hören wie: „Du hast doch keine Ahnung, wenn du nicht betroffen bist.“ „Was willst du denn hier, wenn es gar nicht deinen Alltag berührt?“ Der Ausgrenzungswahn hatte sogar von Medizinern, Sozialwissenschaftlern und Historikern Besitz ergriffen. Ein Arzt, von dem ich mir die neuesten Aidstherapien erklären ließ, grummelte nur: „Hast du das auch verstanden?“

Mit einem Mal war es unwichtig, dass ich die Paragrafen des Gesetzentwurfs zur Eingetragenen Partnerschaft und die Adressen von Homokneipen (bundesweit!) im Schlaf herunterbeten konnte, dass sich in meinem Bücherregal Romane und Lyrikbände lesbischer und schwuler SchriftstellerInnen stapelten, dass ich auf den CSDs in Berlin, Hamburg und Köln tanzte und vermutlich alle Selbsthilfegruppen, Rechtsanwaltskanzleien, Bestattungsunternehmen, Autoverleiher, Ruder-, Tanz- und Gesangvereine kennen gelernt hatte. Wichtig war nur eines: Ich war keine Lesbe. Also war ich unglaubwürdig.

Da zählte auch nicht, dass ich mit Herta Däubler-Gmelin um die Homoehe stritt, mit Andrea Fischer über ihre Vorstellungen einer wirksamen Aidspolitik debattierte oder der PDS-Vorsitzenden Gabi Zimmer ihr erstes Interview in der Homopresse abtrotzte. Das alles wog nichts gegen meine Frechheit: „Wie kannst DU es wagen, über UNS zu schreiben?“

Kurioserweise werden KollegInnen, die „Homothemen“ ausschließlich in der „Heteropresse“ veröffentlichen, nicht mit solchen „Anschuldigungen“ überhäuft. Aber da ist der Fall ja klar: Entweder sind sie selbst „betroffen“, dann haben sie die entsprechende Legitimation und dürfen auch ganz doofe Sachen schreiben. Oder sie sind heterosexuell, dann haben sie sowieso keine Ahnung (mal unabhängig davon, dass es in der Tat viel Unsinn zu lesen gibt).

Amüsant wird es, wenn MacherInnen einschlägiger Szeneblätter behaupten, dass nur sie „Homojournalismus“ betreiben dürfen. Dann bin ich immer ratlos, weil ich nicht weiß, was das sein soll, Homojournalismus. Offenbar dürfen nur Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle über Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle schreiben. So wie früher nur Frauen das Recht hatten, über Frauen zu publizieren. Heißt das auch, dass Juden nur von Juden ins Visier genommen werden dürfen? Dass lediglich Blümchenpfleger bei Du und dein Garten anheuern dürfen? Wie vor dreißig Jahren. Es hat sich also nichts geändert? Doch, und zwar eine ganze Menge.

Am 1. August dieses Jahres dürfen erstmals lesbische und schwule Hochzeiten gefeiert werden, in jeder größeren Polizeibehörde gibt es einen Beauftragten für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Der Völklinger Kreis und die Gay Manager sorgen sich um die lesbisch-schwule Wirtschaft, die Berlin Marketing GmbH gibt ihr Bestes, dass Deutschland auch international schwul-lesbisch wird. Zugegeben, bis zur absoluten Gleichstellung ist es noch immer ein ganzes Stück Weg.

Aber die Gesellschaft ist in dieser Frage weitergekommen – selbstredend mit Abstufungen und Unterschieden. Diskriminierung und Stigmatisierung auf dem Lande werden in den kommenden Jahren vermutlich nicht rasant abnehmen. Auch wird die katholische Kirche so bald kaum lesbische und schwule ErzieherInnen in ihren Kitas arbeiten lassen. Und Gewalt gegen Lesben und Schwule gibt es nach wie vor zur Genüge. Wo aber bleiben Toleranz und Offenheit, die die Szene stets für sich eingefordert hat? Warum steht die Frage nach der sexuellen Identität noch immer so sehr im Mittelpunkt? Auch dann noch, wenn Lesben und Schwule selber öffentlich das „Homogetto“ und den „Homoelfenbeinturm“ kritisieren.

Meine lesbischen und schwulen FreundInnen können mir die Fragen auch nicht beantworten. Für sie ist es egal, wer mit wem schläft. Und die anderen reden ja nicht mit mir . . .

SIMONE SCHMOLLACK, 36, lebt als freie Autorin in Berlin. Sie schreibt zu Frauen- und Genderpolitik

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