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Erinnerung in friedlicher Nachbarschaft

Am Wochenende begann ein Gedenkmarathon an den Mauerbau vor 40 Jahren. Bis zum 13. August suchen über 100 Veranstaltungen unterschiedlichster Organisationen ihre Zuhörer. Einen Konsens darüber, was die Mauer war, gibt es nicht. Aber man erträgt sich

von PHILIPP GESSLER

Dass er Herr Spaarschuh heißt und in den entsprechenden Kreisen bekannt ist wie ein bunter Hund, ist später zu erfahren. Wolfgang Spaarschuh steht am Rande des Podiums, ein Mann von etwa 60 Jahren, gescheiteltes, weißes Haar, ernstes Gesicht, stämmiger Körper. Nur so ist es wohl auch auszuhalten, bei dieser Diskussion im „Tränenpalast“ mehr als eine halbe Stunde lang sich zu melden, abwechselnd jeweils einen Arm hochgereckt. Vor seine Brust und seinen Rücken hat er selbst entworfene Plakate gebunden: Sie prangern das Unrecht an, das seiner Familie und ihm vom SED-Regime zu DDR-Zeiten angetan wurde. Er will etwas loswerden. Hier.

Am Freitagabend begann mit einer Podiumsdiskussion in der ehemaligen Abfertigungshalle für Ost-West-Reisende an der Friedrichstraße ein Veranstaltungsreigen zur Erinnerung an die Mauer, die vor 40 Jahren gebaut wurde. Das Wochenende war der erste Höhepunkt dieses Erinnerungsmarathons – weil es die Tage rund um den 17. Juni waren, an dem vor 48 Jahren Panzer den Aufstand von Bauarbeitern der Stalinallee niederschlugen.

Bis zum 13. August dieses Jahres, dem 40. Jahrestag des Mauerbaus, wollen über 60 Vereine, Museen und (Bildungs-)Institutionen mit eigenen Veranstaltungen, etwa 100 an der Zahl, diese deutsch-deutsche Geschichte zurückrufen in die öffentliche Aufmerksamkeit. Legt die Terminplanung zugleich die Richtung des Erinnerns fest? Erscheint die DDR nur als der Unrechtsstaat, der erstmals 1953 die Freiheit unterdrückte und ab 1961 seine eigene Bevölkerung einsperrte, ehe die Mauer 1989 fiel? Wird dies der Sommer der Kalten Krieger?

Die Podiumsdiskussion im Tränenpalast scheint diese Vermutung anfangs nahe zu legen. Es diskutieren unter anderem Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, und Markus Meckel, Ratsvorsitzender der Bundesstiftung zur „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ über „Die Zukunft der Vergangenheit – Über das historische Gedenken an die SED-Diktatur“. Krüger und Meckel, der der letzte DDR-Außenminister war und derzeit für die SPD im Bundestag sitzt, betonen als „Minimalkonsens“, dass die DDR „eine Diktatur war“: Wer daran zweifle, mache sich „unglaubwürdig“. Doch beide betonen zugleich die Nischen und Freiräume, die das Regime zuließ. Mit der „Keule Totalitarismustheorie“ komme man dem Phänomen DDR nicht bei, meint Krüger. Und Meckel sagt, dass es gleichwohl in der DDR ein menschliches, normales Leben habe geben können.

Diese differenzierten Töne scheinen Gift für einige Zuhörer zu sein: „Ein Sabbeln ist das“, ruft ein alter Mann aus dem Publikum in Richtung Podium, „ein einziges Geschwätz!“ Auch Herrn Spaarschuh hält es, als Fragen von den Zuhörern erbeten werden, nicht auf seinem Platz: Er stürmt auf die Bühne, brüllt das Leid seiner Familie in der DDR heraus. „Zehn Jahre habe ich auf diesen Augenblick gewartet!“, ruft er. Auf dem Podium lacht niemand über ihn.

Am Sonntag auf dem ehemaligen Todesstreifen am Reichstag steht Spaarschuh wieder mit seinen Plakaten – direkt vor der Bühne, wo Bundestagspräsident Wolfgang Thierse der etwa 1.000 Mauertoten gedenkt und an die Zeit der deutschen Teilung erinnert. Spaarschuh hat dieses Mal die Finger seiner Rechten zum Siegeszeichen erhoben. Ein Orchester spielt, Bierbänke sind aufgestellt, die Veranstalter des Gedenkmarathons informieren in ein paar Dutzend Ständen über ihre Arbeit. Die Rede Thierses plätschert in der Sonne dahin. Nur selten brandet Beifall auf, etwa als er sagt: „Es gab das richtige Leben im falschen System.“ Spaarschuh schimpft nach der Rede, brüllt wieder gegen das Unrecht ihm gegenüber an – ein paar Kameras nehmen ihn auf.

In friedlicher Nachbarschaft versuchen die PDS-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung, amnesty international und SED-Opferverbände, den wenigen Interessierten ihre Sicht der DDR-Geschichte zu vermitteln: Einen Konsens darüber, was die Mauer und der ostdeutsche Staat nun waren, gibt es nicht. Aber man erträgt sich – weil die Zeit alle Wunden heilt, wenn man nicht an ihnen zerbrochen zu sein scheint wie etwa Herr Spaarschuh. Ein Sommer der Kalten Krieger jedenfalls ist von den Veranstaltern des Gedenkmarathons bis zum 13. August nicht zu erwarten. Wenn die Politik es nicht dazu macht.

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