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VW gibt Arbeit. Die hat ihren Preis

Der Konzern treibt die IG Metall vor sich her: Einigt man sich nicht auf mehr Arbeitsflexibilität bei weniger Geld, wird das neue Auto im Ausland produziert

aus Hannover JÜRGEN VOGES

Die Ungeduld des IG-Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel ist zu verstehen. Schließlich verhandelte dessen Gewerkschaft gestern in Hannover schon zum fünften Mal mit Volkswagen über das Pilotprojekt „5.000 mal 5.000“, das den schleichenden Arbeitsplatzabbau am VW-Stammsitz in Wolfsburg stoppen soll. Und in der für die Gewerkschaft entscheidenden Arbeitszeitfrage – das Unternehmen verlangt bis zu 48 Wochenstunden Anwesenheit im Betrieb – war gestern Nachmittag allenfalls eine erste Annäherung erkennbar.

Zwickel hatte sich schon zuvor mit einer langen, mahnenden Erklärung zu Wort gemeldet. Der Gewerkschaftsvorsitzende attestierte dem Projekt auf der einen Seite „Chancen zur Verbesserung der Arbeitsorganisation und zum Aufbau neuer Arbeitsplätze in der deutschen Automobilindustrie“. Gleichzeitig lehnte er aber die von Volkswagen vorgeschlagenen Arbeitszeit- und Einkommensregelungen entschieden ab: VW müsse sich „schnellstens von der Vorstellung verabschieden, in dem neuen Werk zur 48-Stunden-Wochen zurückkehren zu können“. Die geplanten Einkommensregelungen, bei denen sich ein Stundenlohn von 21,55 Mark statt der sonst bei VW üblichen rund 30 Mark ergebe, seien „nicht akzeptabel“.

Das Projekt „5.000 mal 5.000“ bringt die IG Metall in eine schwierige Situation. Im Wolfsburger VW-Stammwerk sinkt die Zahl der Beschäftigten, die tatsächlich noch Autos bauen, stetig. Vor 15 Jahren waren dort noch 30.000 VW-Arbeiter in der Produktion tätig, heute sind es nur noch 21.000. Bei konzerninternen Standortentscheidungen, die natürlich nach Rentabilitätsgesichtspunkten im europa- oder weltweiten Vergleich der Lohnstückkosten getroffen werden, haben Wolfsburg und die anderen traditionellen inländischen VW-Werke in den vergangenen Jahren immer wieder den Kürzeren gezogen. Da sei der Lupo mit 90.000 Fahrzeugen jährlich nach Brüssel, die Produktion des Colorado nach Bratislava und die des Polo zum Teil nach Pamplona gegangen, klagt die IG Metall in einem Flugblatt. Schon jetzt droht VW, die Produktion des Minivan nach Tschechien oder Portugal zu vergeben.

VW-Personalvorstand Peter Hartz hingegen, der das Projekt 1999 entwickelt hat, preist seinen Pilotversuch als Mittel gegen weitere Produktionsverlagerungen ins Ausland. Erklärtes Unternehmensziel von Volkswagen bleibe, mittelfristig über 50 Prozent der Konzernarbeitsplätze in Deutschland zu halten. Die Sorge um Arbeitplätze am Standort Deutschland will sich Europas führender Automobilbauer allerdings von der Gewerkschaft teuer bezahlen lassen. Die IG Metall soll für „5.000 mal 5.000“ den VW-Haustarif opfern, damit an den beiden Traditionsstandorten Wolfsburg und Hannover zusammen 5.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Unter Drohung, dass ansonsten die Verlagerung von Arbeitsplätzen weitergehen könnte, soll die IG Metall einer weiteren Aufspaltung der VW-Belegschaft in zwei Gruppen zustimmen: Die immer kleiner werdende Kernbelegschaft, die unter regulärem Schutz der ausgefeilten Regelungen des VW-Tarifvertrages steht, auf der einen Seite sowie die Belegschaften von selbstständigen VW-eigenen GmbHs, die weniger komfortabel abgesichert sind, auf der anderen.

Mit dem Projekt „5.000 mal 5.000“ erreicht dieses Streben nach Ausgliederung von Belegschaftsteilen nun die Produktionsarbeiter selbst. Die sollen wöchentlich maximal 48 Stunden zur Verfügung stehen und dafür nach den Vorstellungen von VW ein Monatsentgelt von 4.500 Mark plus Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und außerdem zweimal im Jahr 3.000 Mark Prämie erhalten, die Weihnachts- oder Urlaubsgeld ersetzen. Die Leistung der Beschäftigten soll nicht mehr in Zeiteinheiten gemessen werden. Den Gruppen wird ein Produktionsvolumen vorgegeben, das in jedem Fall zu erfüllen ist, auch wenn dies 48 Stunden pro Woche dauert. Das Unternehmen erhofft sich dadurch mehr Qualität und somit weniger Reklamationen. Der IG-Metall-Vorsitzende Zwickel sieht in einer solchen Arbeitsorganisation allerdings „die Rückkehr von Arbeits- zum Werkvertrag, mit dem unternehmerische Risiken auf die Arbeitnehmer abgewälzt“ würden.

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