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Die Genossen stehen früher auf

Die SPD startete gestern den Wahlkampf auf der Straße: Zusammen mit Prominenz aus der Bundespartei verteilten die Genossen an 50 U-Bahnhöfen Zuckerstückchen und einen Brief Wowereits an die Bürger. Er selbst kam etwas später

Donnerstagmorgen, U-Bahnhof Friedrichstraße. Vor dem Ausgang Georgenstraße steht Peter Struck, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, verloren im Gedränge. Hinter ihm schieben sich die Leute die Treppe hinunter, vor ihm spuckt der U-Bahn-Schacht andere wieder aus. Mit regungsloser Miene, in hellem Mantel streckt er den Passanten Broschüren entgegen. Doch es gibt einfach zu viele Flyer-Verteiler in Berlin. Die meisten nehmen von dem ernsten Mann, der ihnen da im Weg steht, nicht weiter Notiz.

So startete die Berliner SPD mit prominenter Unterstützung der Bundespartei gestern in den Wahlkampf: An 50 U-Bahnhöfen verteilten die Genossen einen Brief des neuen Regierenden Bürgermeisters und Spitzenkandidaten der SPD, Klaus Wowereit, an seine Bürger. Darin erklärt er, dass die PDS „kein Wunschpartner“ sei, und bittet die Berliner um ihr Vertrauen.

Struck ist Frühaufsteher. Pünktlich um 7.30 Uhr drückte er den Leuten die ersten Broschüren in die Hand. Als eine Viertelstunde später Stadtentwicklungssenator Peter Strieder auftaucht, atmet er auf und zündet erst mal seine Pfeife an. Dann stellt er sich neben einen Genossen, der SPD-Traubenzucker verteilt, schielt in dessen Korb – und greift mit voller Hand zu. Nicht um die Bonbons selbst zu lutschen. Er denkt zuerst an die Bürger und die Wahl und streut die Zuckerstückchen unters Volk. Das hat bei der Haushaltslage in den nächsten Jahren schließlich noch genug bittere Pillen zu schlucken.

Doch eigentlich wartet alles nur auf den großen Mann. „Jetzt könnte er aber mal kommen“, murmelt ein Genosse um zehn nach acht in seinen Schnauzbart. Dann ist es so weit: Umringt von drei grobschlächtigen Bodyguards eilt Klaus Wowereit herbei, frisch aus Frankfurt eingeflogen. Er begrüßt die Genossen von Bund und Land, zwinkert den Journalisten zu. Ein Riesengedränge entsteht. „Kann ick ma in de U-Bahn“, motzt ein Passant.

Wowereit geht sogleich an die Arbeit, verteilt mild lächelnd die Broschüren an die Leute. Vor einem Jahr hätte ihn hier niemand erkannt. In den letzten Wochen schnellte er jedoch auf der Bekanntheitsskala steil nach oben, besonders seit seinem „Ich bin schwul, und das ist gut so“.

In der SPD gibt es die Überlegung, zumindest den zweiten Teil dieses Satzes auf ihre Wahlkampfplakate zu drucken. Darüber soll das Wahlkampfteam entscheiden, das am kommenden Montag erstmals zusammentritt.

Das Bekenntnis hat sich längst zum geflügelten Wort entwicklet. „Herr Wowereit, bleiben Sie so gut, wie Sie sind“, herzt eine blonde Passantin am Bahnhof Friedrichstraße und schüttelt ihm kräftig die Hand. Der bedankt sich freundlich. Ein älterer Mann bleibt stehen. „Sie haben Ihre Sache bei Friedman gestern gut gemacht, haben sich nicht kleinkriegen lassen“, lobt er den frisch gebackenen Bürgermeister, den Michel Friedman am Vorabend in seiner Talkshow löcherte.

Zehn Minuten müssen reichen. Wowereit bedankt sich artig auch bei seinen Genossen für die Unterstützung, abgehoben hat er trotz des Ruhms schließlich noch nicht. Dann umringen ihn die Kamerateams. Und schon entschwindet der neue Hoffnungsträger der Berliner SPD auf Wink seiner Sicherheitsleute im S-Bahnhof. ANTJE LANG-LENDORFF

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