piwik no script img

In Holland heißt Konsens nicht Mittelmaß

■ Die Direktorin des Rotterdamer Architektur-Museums über Hochhäuser, Hafen-Cities und die vornehmste Aufgabe des Architekten: den Wohnungsbau für alle

Braungebrannt, lange rote Haare, gelbe Lederjacke, fast 60 Jahre alt. Wie man sich eine Museumsdirektorin aus Holland eben vorstellt. Aber Kristin Feireiss ist gar keine Holländerin, sie kommt ursprünglich aus Berlin, wo sie unter anderem die Architekturgalerie Aedes gegründet hat. Architektur ist Alltagskultur, sagt die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes und meint es auch. Die Besucherzahlen des Rotterdamer Architekturmuseums – des weltweit größten – haben sich verdreifacht, seit sie 1996 zur Direktorin berufen wurde.

Rotterdam. Das ist die Stadt, die von den Deutschen bombadiert wurde, bis keine Innenstadt mehr da war. Die Frage, ob man die historische Altstadt rekonstruieren solle, wurde gar nicht erst gestellt. Stattdessen entstand die modernste Innenstadt Europas. Manches ist aber auch mit Bremen vergleichbar: Hafenreviere, die brach liegen, seit der Hafen Richtung Nordsee gerutscht ist. Nur, dass das „Kop van Zuid“, wie das Ex-Hafenrevier heißt, fortschrittlichst bebaut wurde.

Auf Einladung der Architektenkammer diskutiert Kristine Feireiss heute ab 12 Uhr im Sitzungssaal 2 der Bürgerschaft über „Architektur macht Schule in Europa – Deutschland und die Niederlande im Vergleich“.

taz: Rotterdam wird das Manhattan an der Maas genannt, hier diskutiert man über ein Hochhaus in Bahnhofsnähe. Finden sie das absurd?

Kristin Feireiss: Nicht jede Stadt muss ihre Qualität aus einem extrovertierten Architekturbewusstsein ziehen. Aber wenn ich an diesem schön renovierten Bahnhof ankomme, ist der erste Eindruck nicht gerade animierend. In den Niederlanden gibt es diese Hochhausdiskussion nicht wie hier oder in Berlin. Ich finde die Frage ist nicht, ob Hochhäuser, sondern nur wo und wofür.

Eins der Argumente gegen das Hochhaus ist: Es würde eine Blickachse zwischen dem Bürgerpark und dem Marktplatz stören. Das Hochhaus wird quasi als Anmaßung empfunden. Befürworter wiederum wollen ein Zeichen setzen. Umgekehrt wurde es in einem Gutachten als „Erektion des Kaptitals“ bezeichnet.

Ich glaube, es gibt da einen Unterschied zu den Niederlanden. Wir sind das Konsensland. Auseinandersetzung bis zur Ermüdung. Und da spielt die Wirtschaft einfach nicht die entscheidende Rolle.

Moment mal: Ist nicht Holland das Land der Pragmatiker, das Land mutiger Entscheidungen?

Das widerspricht sich doch nicht. Rotterdam ist sicherlich eine architektonisch unglaublich ambitionierte Stadt, da hat man den Mut, mal einen Fehler zu machen. Den könnte man hier auch haben. In Rotterdam baut jetzt ein Engländer am Bahnhof: verrückter, wahnwitziger geht es gar nicht. Land, Stadtväter, Bahn und Bauherr haben gesagt: Wir wagen das, weil wir glauben, dass das die beste Lösung für einen meeting point ist. Also: Konsens und Mut sind kein Gegensatz. Und wenn sie am Bahnhof noch Diskussionsbedarf haben: lieber nocheinmal beginnen, als einen mittelmäßigen, womöglich postmodernen Schnellschuss abzugeben.

Apropos Mittelmaß: eines der wenigen Areale am Wasser, das Bremen mit Wohnungen bebaut hat, ist der Teerhof. Man hat sich für eine zurückhaltende, an die Speicherstädte angelehnte Architektur entschieden. Dorthin führt eine Allerweltsbrücke. Die Brücke, die in Rotterdam die Stadt mit dem Kop van Zuid verbindet, ist wegen ihrer außergewöhnlichen Architektur in aller Munde.

Ich kenne den Teerhof nicht. Wenn es dort keinen Mut gab, dann weil es an Konzepten und Idealen fehlt. In Rotterdam hat man man einen Entwurf genommen, der doppelt so teuer war wie der zweite Platz. Weil man wusste: Wir brauchen ein Symbol. Jeder muss sagen, mein Gott, die halten diesen „Kop von Zuid“ also für so wichtig und zukunftsträchtig, dass sie sich so eine Brücke leisten – und einfach nur noch staunen.

Fragen: hey

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen