Kritische Kolonialwaren

Videoarbeiten und Computerprints über die künstlerische Transformation von Motiven zwischen Kunst und Alltagskultur: Bettina Allamoda zeigt bei Barbara Thumm „ready to wear / colonial“

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Ist das jetzt ein Triumphmarsch? Die Models, die sich auf den Prêt-à-porter Shows im Herbst 2000 über die Laufstege in Paris schoben, Hüftknochen vor und fast alle den gleichen Beat im Schritt, trugen jedenfalls Insignien der Aneignung des Exotischen am Leib. Einigen ist ihre schwarze Haut angeboren, andere hatten sie sich aufgemalt. Einmal führte ihr Weg an einer Weltkugel vorbei, dann schüttelten sie Löwenmähnen und Rastalocken.

Haben alle diese Zeichen nichts mehr zu bedeuten? Sind sie bloß Dekor unter Dekorum, nicht anders als das streng gewürfelte Schwarzweiß oder die knalligen gelben Punkte, mit denen Jean-Charles de Castelbajac Pop und Minirock wieder zusammenbringt?

Die Berliner Künstlerin Bettina Allamoda, die die Videos von den Modeschauen während eines Cité-Stipendium in Paris gedreht hat, hat noch weitere Indizien für den Remix des postkolonialen Erbes auf den Oberflächen der Schauplätze gefunden, durch die die Karawane der Girls zieht.

Auf zwanzig großen digitalen Prints zeigt sie Ausschnitte: Hinter Handtaschen von John Galliano wird die Fassade des Institut du Monde Arabe sichtbar, die mit orientalisch-arabesken Lichtblenden einmalig in Paris ist. Galliano hatte sich dort während der Defilees einen Showroom eingerichtet. Der Salle d’Afrique aus dem Museum für afrikanische Kunst ist zu sehen, mit einer Wandbemalung aus den Dreißigerjahren.

Hier begann Gaultier in den Achtzigerjahren mit Modeschauen. Das Museum wird demnächst geschlossen, um in einer Neukonzeption mehr von einem kritischen Blick auf die Kolonialgeschichte einfließen zu lassen. An den schwelgerischen Exotismus der musealen Wandbemalung aber erinnert die neue Herrenserie von Hermès, die mit Federn, Pfeilen, Blättern und bewaffneten Kriegern bedruckt ist.

Im Kunstbetrieb gehen Kunst und Mode heute oft eine Allianz ein, die einem Sponsorenvertrag ähnelt: Die Kunst versucht sich vom Kuchen des Modemarkts ein Stück abzuschneiden und dafür Unterscheidungsmerkmale im Konkurrenzkampf der Events zu liefern. Von solcher Promotion ist Allamodas Ausstellung weit entfernt: „ready to wear / colonial“ heißt dieser erste Abschnitt eines Projekts, mit dem sie an ihrer Archäologie der Gegenwart weiterarbeitet.

In Fotografien, Skulpturen und Videos, in Ausstellungen, Katalogen und Interviews folgt sie dabei seit zehn Jahren einer Recherche, die übersehene und vergessene Informationen aus Design, Architektur und Mode herausholt. Ihr Blick ist der einer Künstlerin, die über visuelle Kongruenzen und ästhetische Verwandtschaften stolpert und dahinter dann Geschichten aufspürt quer durch Kunst, Technik und Industriegeschichte. Kenntlich wird dabei eine Transformation von Motiven, die zwischen Kunst und Alltagskultur, historischem Dokument und utopischer Fiktion mehrfach ihren Status und Bedeutung ändern. Diesem Prozess gilt Allamodas Augenmerk.

Mitten in der Galerie Barbara Thumm steht eine raumgreifende Skulptur aus drei konkav gebogenen Paneelen, die auch als Projektionsflächen dienen. Zwei Schriftbänder wechseln sich ab: Das erste benennt die Modemacher, Männer fast alle, und die Orte der Defilees in Paris. Das zweite Band listet die Skulpturen der Bildhauer auf, die 1958 für den Park des Gebäudes der Unesco, ebenfalls Schauplatz der Modeschauen, in Auftrag gegeben wurden. Einige davon zeigt die Zusammenstellung der digitalen Prints. Henry Moore, Alexander Calder, Giacomo Giacometti, Joan Miró und Charles Le Corbusier: Sie alle haben an einer dynamischen und abstrakten Formsprache gearbeitet, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Moderne durchgesetzt hat. Unter dem Begriff der Abstraktion verbarg sich dabei auch immer die Inspiration, die sie außereuropäischen Kulturen verdankte.

Eindeutig zu interpretieren sind die Schnittstellen von Mode und Moderne in den Bildern nicht. Einerseits häufen sich zwar die Hinweise auf eine gemeinsame koloniale Vorgeschichte, andererseits zeigen sich auch andere Verbindungen wie die Liebe zur Formreduzierung und zur Geometrie. Angewandte Kunst eben. In der Theorie war ihr zugedacht, Motor der Lebensreform in den Zwanzigerjahren zu sein, Begleiter der sozialistischen Versprechen in den Sechzigern. Öfter noch als diese Utopien vom Aufgehen der Kunst in der Alltagsgestaltung gescheitert sind, haben sich die Wege von autonomer Kunst und ihren angewandten Gebieten wieder getrennt und verästelt in der Massenkultur. Von diesen Abspaltungen und Verlagerungen erzählt Bettina Allamoda in ihrer Zusammenstellung des Materials.

Bis 30. 7., Dienstag bis Freitag von 13 bis 19 Uhr, Samstag von 13 bis 18 Uhr. Galerie Barbara Thumm, Dircksenstr. 41. Am Freitag, 20. Juli, um 19 Uhr, Gespräch zwischen Bettina Allamoda und der Modejournalistin Anja Seeliger