: Mit Siegermiene auf Deck
Tourismus als Lebenshilfe auf dem Clubschiff, eingehüllt in eine rosoarote Wolke des Wohllebens, und die Gehirnwäsche von „Deutschlands bekanntesten Managment-Trainern“. Eine Woche auf den schönsten Seiten des Mittelmeers
von EDITH KRESTA
Die „Aida“ ist ein schönes Schiff. Postmodernes Barock mit kräftigen Farben in Ultramarinblau, Kanariengelb, Türkis, dicke, farbenfrohe Teppichböden, bequeme Ledersessel in warmem Orange, originelle Lampen mit Jugenstil-Ambitionen, ausgewähltes Design auf allen Decks – das Interieur der „Aida“ swingt. Es verheißt Leichtigkeit, unbedingte Lebensfreude und Wohlleben. Karibikfeeling auf dem Clubschiff mit Blue Curaçao, Fitness und Wellness, überquellende Buffets und rundum Freizeitangebote zwischen Volleyball, Stretching, Spinning, Theateraufführungen und Landausflug.
Beispielsweise auf Malta. La Valetta, die Hauptstadt der Insel, ist ein Anlaufpunkt auf unserer siebentägigen Mittelmerfahrt auf der „Aida“, die von Mallorca über Korsika, Neapel, Sizilien, Malta und wieder zurück nach Mallorca geht. Der Stadtkern des altehrwürdigen La Valetta ist ausgestorben, denn heute predigt der Papst vor den Toren der Stadt. Und alle sind dort. 12 Stunden ankert die „Aida“ im Hafen La Valettas. Wir belassen es bei unserem Landgang mit einem Blick auf die Papsttribüne. Denn wir haben unsere eigenen Prediger an Bord, denen wir täglich fünf Stunden – zweieinhalb Stunden morgens, zweieinhalb Stunden nachmittags – lauschen. Sie reden der Leichtigkeit und Fit-mit-Fun-Kultur unseres Schiffes das Wort. Ihr oberstes Credo: Denk positiv! Ihr Versprechen: Erfolg ist machbar! Die add!brain GmbH bat zur „Coachingreise für Beruf und Familie“ auf die „Aida“. Und sie bietet „sechs Top-Trainer der Branche“.
Der Mix aus persönlichen und beruflichen Inhalten der Seminare in luxuriöser Umgebung sollen vor allem Paare ansprechen. Paare zwischen dreißig und fünfzig, die schon auf der Erfolgsschiene sind. Für den Mehrheitsgesellschafter, Ulrich Haverkamp aus Münster, beginnt nun die Neuausrichtung des Unternehmens, das gerade ein Insolvenzverfahren hinter sich hat, „hin zu Solidität, Innovation und Erfolg“. Und das ist wohl das Mindeste, was man von einem Unternehmen erwarten kann, dessen Ziel es ist, uns alle auf Erfolg zu programmieren. „Die persönliche Entwicklung unserer Kunden finden wir sehr wichtig, mit hochwertigen Produkten wollen wir sie fördern“, sagt Haverkamp.
Hochwertige Produkte wie das Training von Frank Wilde, dem fast 200 Zuhörer folgen. So viele der insgesamt 1.200 Urlauber an Bord haben das Zusatzangebot von add!brain gebucht. Wilde hampelt etwas nervös auf der Bühne des „Aida“-Bordtheaters herum. Sein erklärtes Lernziel: „Dass es euch richtig gut geht, dann kommt ihr wieder und bringt andere mit.“ Wilde hat ein Heimspiel auf der „Aida“. Er ist offizieller Trainer des Clubschiffs, der TUI-Group und der WAZ-Medien-Gruppe. Hier lernen die Beschäftigen: „Seid nett, dann ist der Andere auch nett. Lächeln!“ Oder: „Setze dir Ziele und verfolge sie, denn nichts ist Zufall, alles ist Naturgesetzlichkeit.“ Und: „Es kommt nicht darauf an zu verstehen, sondern darauf, was man erreicht.“ Dazwischen der lapidare Hinweis: „Es gibt immer noch Leute, die Amalgam in den Zähnen haben.“ Die Einschlafhilfe für Manager, als Highlight seines Vortrags angekündigt, ist eine elaborierte Form des Schäfchenzählens.
Wildes mentales Training ist eine wilde Mischung aus Allerweltsweisheiten, Kalendersprüchen, ein bisschen Neurolinguistisches Programmieren (NLP): „Schließen Sie die Augen. Stellen Sie sich Ihr Ziel vor, programmieren Sie jetzt den gewünschten Endzustand, den Mercedes, Porsche, Mann oder was immer sie sich wünschen, in ihr Unterbewusstsein ein. Nun seien sie offen für die Ereignisse.“ Wilde programmiert das Unterbewusstsein wie andere das Feinwaschprogramm einer Waschmaschine. Sein Motto: „Es kommt darauf an, die simpelsten Dinge zu beherrschen, dann geht die Ware weg.“
Wilde kommt aus dem Verkauf. Er ist sicherlich ein begnadeter Verkäufer. Doch auch die Zuhörer im Raum kaufen die gesammelten Lebensweisheiten des Frank Wilde gerne ab. Die Tipps sind konkret: „Glauben Sie an sich!“ Sie sind einfach, praktisch, hoffnungsfroh: „Du brauchst nur auf die Dinge von außen zu achten, dann kommt alles wie von selbst.“
Abends an der Sternenbar schwärmt der Küchenkönig aus Chemnitz, der mit seinen Küchen den Ostmarkt erobert hat, von Wildes Erfolgskonzept. Der Küchenkönig hat Wilde bereits in der eigenen Firma und beim eigenen Fußballclub erprobt. Seither gehe es nur aufwärts. Persönlich hat er von Wilde vor allem eins gelernt: „Auf Durchzug stellen, bei allem, was mich nicht interessiert.“ Das Ehepaar aus Leipzig hört dem Küchenkönig gespannt zu. Sie nehmen am Seminar teil, um endlich zu wissen, „wie man es im Westen macht“.
Andere Teilnehmer – Ärzte, Architekten, Unternehmer nebst Gattin – hoffen auf den ultimativen Persönlichkeitskick: „Das sind doch alles Kapazitäten auf diesem Gebiet“, sagt der Zahnarzt aus Duisburg. Der Abteilungsleiter aus Münster weiß, dass diese Techniken in Amerika schon „viel verbreiteter sind als hierzulande“. Er findet sie „sehr bereichernd“. Wieder andere wollen von den Größen unter Deutschlands Trainern etwas für die eigene Arbeit abkupfern. Wie Karin aus Waren, die in einer Versandkette mit Motivationstraining arbeitet. Ihr Ziel: „reich werden“. Karin lässt die Kamera im Seminar immer mitlaufen.
„Reich sein“, „erfolgreich sein“ und „fit for ever“ sind die Glaubenssätze des Seminars. Das manische Positivdenken entspricht dem Lebensgefühl auf den oberen Decks der „Aida“. Eine rosige Welt, ganz und gar auf Wohlleben eingestellt. Hier wird an der Ich-Optimierung gefeilt.
Es darf getanzt werden. Beispielsweise abends in der „Aida-Bar“, wo man sich kennen lernt, wo gut gewachsene, blonde, sehr junge Mädchen an der Seite älterer Herren noch attraktiver wirken, wo die dritte Caipirinha die letzten Zweifel an einem Leben auf der Zielgeraden nimmt. Diese schöne, luxuriöse Urlaubswelt ist das ideale Ambiente, um eine rein positive Welt zu beschwören. Eine Welt, frei von Widersprüchen und Mängeln, allein durch den individuellen Erfolgskurs bestimmt. Und im Kleinuniversum des Schiffes gibt es die Trainer praktisch zum Anfassen.
Jeden Tag tritt ein anderer Trainer im Bordtheater auf. Ein etwas blasser und gebremster Matthias Pöhm refereriert zum Thema „schlagfertig und erfolgreich“. Gregor Staub verblüfft mit seinem „Mega Memory“. Ein ausgefeiltes Denksystem der Eselsbrücke mit spielerischen Assoziationen. Bernd W. Klöckern entwirft bei seiner Einführung „Strategien zum Reichtum“, und man kommt sich komisch vor, dass man noch immer kein Millionär ist. Dr. Michael Spitzbart, von der Dynamik der äußeren Erscheinung eher eine Enttäuschung, verspricht uns „fit for ever“. Sein Motto: „Leute, esst Eiweiß!“ Er spricht über Kreativitäts- und Glückshormone und wie sie aktiviert werden. Er beschreibt die Wirkung ausreichender Bewegung, warnt vor dem Rauchen und fordert Gedankenhygiene. „Denken Sie positiv: Spiegel lesen beispielsweise bringt negative Schwingungen. Da hassen Sie nach der Lektüre wieder sieben Leute mehr, die Sie vorher gar nicht kannten.“ Spitzbart weiß, warum Managerseminare so teuer sind: „Wir sind begnadete Leute, die bei anderen Veränderung bewirken können.“ Alle Trainer haben deshalb ein unverwechselbares Prinzip: „Was nichts kostet, ist nichts wert.“ Also lassen sie sich gut bezahlen.
Last not least kommt Jörg Löhr: groß, schlank, attraktiv, dynamisch, stahlblaue Augen. Ein, wie er von sich selbst sagt, „visueller Typ“. Sein Thema: „Mit Begeisterung zum Erfolg“. Das Bordtheater ist gefüllt wie nie. Löhr ist, wie die anderen Trainer mehr oder weniger auch, ein hervorragender Selbstdarsteller. Die Vortragstechniken ähneln sich: ein bisschen Witzigkeit, etwas Persönliches vom Sohn, der Frau, ansonsten eine Sammlung programmatischer Binsenweisheiten, die für sich genommen alle stimmen: „Achten Sie auf sich!“ Löhr ist der Intellektuelle unter den Trainern. „Natürlich will ich manipulieren, nur so kann man Menschen verändern“, beugt er wohlbekannten Argumenten vor. Aber argumentiert wird hier ohnehin nicht. Hier werden Erfolgsversprechen eingesogen. Löhr führt den Popfaktor ein, den „permanenten Optimierungsprozess“. „Was ist die Voraussetzung für Spitzenleistungen?“, fragt er. „Gesundheit, Zielklarheit, Verantwortung, Optimierung, Begeisterung, Disziplin.“ Alte bürgerliche Tugenden also. „Sie müssen raus aus der Sicherheitszone“, fordert Löhr, „dorthin, wo das wilde Leben ist.“ Denn: „Es gibt in der Zukunft in unserer Gesellschaft nur noch ein Konstante, und die heißt Flexibilität.“ Umso mehr muss man an der Persönlichkeit feilen, und die fängt im Kopf an, weiß Löhr: „Persönlichkeiten zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich so sehen, wie sie sein wollen.“ Bei Löhr scheint diese Selbstsuggestion zu funktionieren. Er bekommt Standing Ovations. Er ist der Star. Er hat gut unterhalten, alle bestätigt, niemandem wehgetan, den Weg zum Sieg skizziert und rosarote Aussichten gemalt. Er weckt Begeisterung.
Gregor aus Friedrichshafen, der herausragende Karaokesänger vom Vorabend in der Lambadabar, lauscht den Lobeshymnen auf Löhr beim Apero an der Bar. Der Computerspezialist nimmt selbst nicht am Seminar teil, aber er kennt Managerseminare aus der eigenen Firma. Er mag diese ultimative Innovation seines Chefs nicht und macht sich über den selbstbewussten Ton der Trainer lustig: „Schwache Personen in ihrer geistigen Reduziertheit zu stärken und zu bestätigen, ist sicher immer von Erfolg gekrönt“, meint er ketzerisch. Eisiges Schweigen. Die Aufmerksamkeit der umstehenden Seminarteilnehmer wird ihm schlagartig entzogen. Gregor existiert nicht mehr. Wer den Optimismus des positiven Denkens nicht teilt, gilt leicht als Miesmacher. Gregor nippt überraschend schnell allein am „Aida-Cocktail“. Die anderen drängen von der Bar ans Buffet und unterfüttern ihre Glückshormone. Schließlich sind sie im Urlaub, auf Kreuzfahrt, und alles wurde teuer bezahlt!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen