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„Kohl schaffen wir auch noch“

Anfang der 90er wich die Einheitseuphorie der bitteren Erkenntnis, dass die ostdeutsche Wirtschaft am Ende war. Kohl musste den Volkszorn mit teuren Projekten besänftigen

BERLIN taz ■ 1991 träumten die Westdeutschen noch vom Osten als Wirtschaftswunderland. In den alten Bundesländern gab es kaum jemanden, der nicht vom Bekannten eines Bekannten wusste, in den „neuen Ländern“ kinderleicht ein kleines Vermögen verdient hatte.

Den Osten dagegen hatte die Realität längst eingeholt. Eine erste von Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP) bei den Wirtschaftsinstituten DIW und IfW in Auftrag gegebene Studie offenbarte einen Besorgnis erregenden Einbruch der Wirtschaft. „Es gibt vermutlich nicht sehr viele Industrieunternehmen, die aus eigener Kraft den Strukturwandel bewältigen können“, hieß es darin. Von 3,5 Millionen Menschen, die noch 1989 in der Industrie und im Bergbau beschäftigt gewesen seien, blieben Ende 1991 nur noch 2 Millionen.

Zu Anfang gelang es der Bundesregierung noch, den Frust auf die Treuhand umzulenken. Als nach Detlev Rohwedders Ermordung aber mit Birgit Breuel eine profilierte CDU-Finanzpolitikerin die Treuhand übernahm, ging das nicht mehr. In Leipzig hatten sich schon in den Wochen davor wieder zehntausende Menschen zu den wieder aufgenommenen Montagsdemonstrationen eingefunden. Die Bewegung schwappte in die Krisenzentren. In Leuna demonstrierten an einem Tag 30.000 Chemiearbeiter aus dem ganzen Dreieck Buna, Leuna, Bitterfeld, forderten „Arbeit und Zukunft“. Manche zeigten sich kämpferisch: „Wir haben schon eine Regierung weggekriegt. Die Kohlregierung schaffen wir auch noch.“

Kirchenmänner erklärten damals, die Menschen fühlten sich hintergangen. DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer drohte: „Der ostdeutsche Arbeitsmarkt brennt.“ Auch die SPD versuchte, Terrain zu gewinnen. Oskar Lafontaine wurde Ostbeauftragter.

Plötzlich stand die Regierung unter Druck, schnelle Erfolge oder zumindest sichtbare Anstrengungen mussten her. Weil flächendeckend weder das eine erreichbar noch das andere bezahlbar schien, setzte Kohl auf Prestigeprojekte ohne Rücksicht auf ökonomische Vernunft und Kosten. Er machte den Erhalt der industriellen Kerne zur Chefsache, um den Protest der Nochbeschäftigten und Arbeitslosen einzudämmen. Vor diesem Hintergrund fiel auch die Entscheidung, die vier großen Chemiestandorte Buna, Bitterfeld, Wolfen und Leuna zu erhalten und in Letzterem auch den Bau der neuen Raffinerie in den Vordergrund zu stellen. Der Spiegel rechnete nach, dass jeder Arbeitsplatz dort mehrere Millionen Mark kostete. BEATE WILLMS

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