piwik no script img

Unerbittlicher Behördenfeldzug

Tausenden staatenlosen Kurden aus dem Libanon droht nach mehr als zehn Jahren die Ausweisung. Staatenlosigkeit – das ist ein Synonym für die Odyssee der Kurden, für ihre Wanderung zwischen Staaten wie Iran, Irak, Syrien, Türkei und Libanon

von MARKUS GÖTTE

Nuri* säbelt in seiner Imbissbude Dönerfleisch ins Fladenbrot und reicht es seinem Kunden. „Alles klar, mein Freund?“ – „Alles klar“, entgegnet der, knallt die Münzen auf den Tresen und verschwindet kauend. Bei Nuri selbst ist derzeit nichts klar. Dass er seinen Laden noch aufhaben darf, ist ein Wunder oder besser eine Nachlässigkeit der Behörden. „Schreib ja nicht, wo der ist, oder wie ich wirklich heiße. Dann ist alles aus.“ Nuri soll zusammen mit seiner Frau und seinen fünf minderjährigen Kindern abgeschoben werden. Die Ausländerbehörde sagt, Nuri sei Türke. Nuri sagt: „Ich bin staatenloser Kurde aus dem Libanon, 1971 in Beirut geboren und 1985 mit meinen Eltern – noch während des Bürgerkriegs – von dort direkt nach Deutschland geflohen.“ Doch die Behörde bleibt dabei. Nuri sei Türke, weil sein Name in einem türkischen Melderegister stehe.

Nuri teilt damit das Schicksal von mehreren tausend Arabisch sprechenden Kurden, Mahalmi, aus dem Libanon, die von den Behörden verdächtigt werden, sie oder besser ihre Eltern hätten damals bei ihrer Einreise die Behörden „arglistig“ über ihre türkische Identität getäuscht. Land auf, Land ab werden deutsche Staatsbürgerschaften dieser Personengruppe wieder aberkannt.

Zum Beispiel der 23-jährigen Kamal A. aus Essen. Kamal A. kam als Säugling aus dem Libanon nach Deutschland. Vor fünf Jahren ließ er sich einbürgern und leistete brav Wehrdienst beim Bund. Nun soll er seine Einbürgerungsurkunde zurückgeben. Noch weigert er sich. Bereits dutzende staatenloser Kurden mussten das Land verlassen oder wurden von der Polizei abgeschoben. Obwohl sie immer wieder beteuerten, sie seien arabische Kurden und keine Türken und wollten dies auch nicht werden. Ihre Vorfahren seien schon in den Zwanziger- oder Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts aus der Türkei ausgewandert. Von seiner Mutter weiß Nuri, dass sein Großvater irgendwann um 1925 nach Beirut gegangen ist. Doch weder er noch sein Vater oder seine Mutter erhielten dort Bürgerrechte. Für deutsche Behörden galten sie deshalb als staatenlose Kurden aus dem Libanon.

Staatenlosigkeit – das ist ein Synonym für die Odyssee der Kurden, für Vertreibungen und Wanderungen zwischen Staaten wie dem Iran, dem Irak, Syrien, der Türkei und dem Libanon – über Generationen hinweg. Nicht zuletzt aufgrund ihrer ungeklärten Herkunft bekamen sie in der Bundesrepublik Bleiberecht aus humanitären Gründen. Doch damit soll Schluss sein: Seit Anfang 2000 stehen sie unter Generalverdacht, in Wahrheit Türken zu sein.

Als Beweise dienen Auszüge türkischer Personenstandsregister beziehungsweise türkische Pässe. So nahmen sich Polizei und Ausländerbehörde Stammbaum für Stammbaum der staatenlosen Kurden vor und ermittelten die Angehörigen der Personen, die vor mehr als einem Jahrzehnt in die BRD flohen. Selbst vor Hausdurchsuchungen und Gentests schreckten die Behörden nicht zurück. Bisherige Bilanz des Behördenfeldzugs: In Essen sind es knapp 2.000, in Bremen 500, in Berlin kommt der Innensenator auf 8.000, die Ausländerbeauftragte nur auf 100, der Kreis Soest auf 30, Northeim auf 100, Diepholz und Goslar auf weitere dutzend verdächtige Personen. Die Presse titelte daraufhin: „Asylmissbrauch“ und „Schein-Libanesen entdeckt“, „Mit falscher Identität Millionen erschlichen“. „Die Menschen werden als Betrüger oder Sozialhilfeabzocker an den Pranger gestellt“, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl, „obwohl die Innenbehörden der Länder seit Jahren wissen, wie kompliziert die Fluchtgeschichten sind.“ Mal gelang es ihnen direkt aus dem Bürgerkriegsland Libanon zu fliehen, mal benutzten sie die Türkei oder Syrien als Transitländer und beschafften sich dort türkische Dokumente, um überhaupt nach Deutschland zu kommen. Einige baten mit ihren türkischen Pässen um Asyl. Als sich dies als aussichtslos erwies, stellten viele unter ihrem richtigen, arabischen Namen erneut Asylantrag; als Mahalmi, als arabische Kurden aus dem Libanon.

Anwalt Heinrich Freckmann, der seit Jahren kurdische Familien in Verfahren vertritt, schließt nicht aus, dass es Personen gibt, die nur in der Türkei gelebt haben und mit dem Ticket „staatenloser Kurde“ gereist sind. Die Behörden würden jedoch alle in einen Topf werfen. Das Problem, so der Anwalt aus Hannover, viele Menschen, die Jahrzehnte in Libanon gelebt haben, waren dort weder registriert noch hatten sie Bürgerrechte. Dokumente Beiruter Bürgermeisterämter oder Bescheinigungen von Hebammen, die ihre Aufenthalte in Beirut beweisen, werden vor Gericht nicht anerkannt oder – mit dem Verweis auf die vorhandenen türkischen Registereintragungen – als Fälschungen abgetan.

In dieser aussichtslosen Situation unterstützten Pro Asyl, Caritas und Diakonie Hannover eine Recherchereise von Anwalt Heinrich Freckmann in die Türkei und den Libanon. Freckmann war stutzig geworden, weil die Mehrzahl der von den Behörden präsentierten Registerauszüge – über tausend – aus nur drei kleinen Dörfern im Südosten der Türkei stammen. Begleitet wurde er – auf Vorschlag des niedersächsischen Innenministeriums – von einem Mitarbeiter der Kreisausländerbehörde Hildesheim. Leider kamen sie in die besagten Dörfer erst gar nicht. Türkische Sicherheitskräfte hinderten sie daran. Später erfuhren sie: Die Dörfer sollen entweder zerstört, nahezu unbewohnt oder zu Armeefestungen ausgebaut sein. Sie liegen im Kriegsgebiet zwischen PKK und türkischer Armee. Doch etwas anderes fanden sie heraus: Türkische Melderegister werden über Jahrzehnte fortgeschrieben, selbst wenn die Personen schon vor 1930 aus der Türkei auswandert sind, so Freckmann. Diese Fortschreibung erfolge in der Regel ohne Zutun und ohne Kenntnis der Betroffenen. Gleich ob diese im Libanon, in Deutschland oder anderswo leben. Der Anwalt kommt zum Schluss, dass – vorausgesetzt der Libanonaufenthalt der Eltern ist glaubhaft – „Kinder und Kindeskinder keine Kenntnis von einer eventuellen türkischen Staatsangehörigkeit oder Fortführung haben“.

Zurück in Deutschland fordert Anwalt Freckmann gemeinsam mit den Sozialverbänden und Pro Asyl den Betroffenen ihr Bleiberecht zurückzugeben. Zumal es sich bei den jetzt von Abschiebung Bedrohten zum überwiegenden Teil um Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene handelt, die hier geboren oder aufgewachsen sind. Doch die zuständigen Behörden reagieren mit Achselzucken. „Wir stützen unsere Beweisführung ja nicht allein auf die Personenstandsregister“, sagt Matthias Cramer, persönlicher Referent des Bremer Innensenators. Auch Helga Haunschild, Referentin für Asylrecht im niedersächsischen Innenministerium, sieht keinen Anlass, die Ausweisungen zu stoppen. „Wir sprechen hier von arglistiger Täuschung, in denen Flüchtlinge ihre wahre türkische Identität verschleiert haben.“ Den Einwand von Pro Asyl, Diakonie Hannover und Caritas durch „den Vollzug formalen Rechts“ die Betroffenen, die sich nach mehr als zehn Jahren weitgehend integriert haben, zur Schule gehen und teilweise sogar arbeiteten, in eine „ausweglose Lage“ zu treiben, wischt sie beiseite. „Viele der Familien“, erklärt Haunschild, „haben sich in der Sozialhilfe eingerichtet.“ Schon die zweite Generation, und kein Integrationswillen sei erkennbar. Haften Kinder für ihre Eltern? An dieser Stelle zeigt Haunschild Skrupel und erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die mit acht Jahren in die Bundesrepublik kam und jetzt – als 20-Jährige – ausgewiesen werden soll. Das niedersächsische Verwaltungsgericht entschied, sie müsse sich das Verhalten ihrer Eltern zurechnen lassen. Denn sie hätte ihre Eltern ja anzeigen können. „Das ist natürlich aberwitzig“, gibt Haunschild zu.

Nuri hätte seine Eltern nicht verraten. Wieso auch? „Ich wusste gar nicht, dass wir in diesen Registern stehen“. Seinen Vater kann er nicht mehr fragen. Den hat er vor acht Jahren in Essen zu Grabe getragen. „Ich spreche kein Türkisch. Meine Kinder sprechen kein Türkisch. Ich kenne die Türkei nicht. Ich hab mir meine Existenz hier, hier in Deutschland aufgebaut und zahle meine Steuern.“ Helfen wird ihm das wohl kaum.

* Name von der Redaktion geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen