: Milder Herbst der Kalten Krieger
Zum „Panorama“-Jubiläum scharte der NDR sie alle noch einmal ums Lagerfeuer: Löwenthal und Paczensky, Merseburger und Mertes, Lindlau und Alt. Ihren ideologischen Strickmustern sind sie treu geblieben. Ihre Magazine haben heute andere Probleme: Sie sind Quotengaranten – fürs Privatfernsehen
aus Hamburg PETER AHRENS
Als Gerhard Löwenthal sagt: „Wir wollten doch alle nur dasselbe“, zucken die anderen neben ihm innerlich zusammen. Dasselbe wie der Kälteste aller Kalten Krieger im deutschen Fernsehen? Dasselbe wie der Apologet des Antikommunismus? Aber Löwenthal meint nur, „wir wollten alle zeigen, was hinter der Schlagzeile steckt“, und das können auch die anderen Veteranen des Politfernsehens unterschreiben. Es weht ein Eishauch aus der Vergangenheit der großen Konfrontation zwischen West und Ost durch den Raum, wie sie da alle nebeneinander hocken, Franz Alt und Peter Merseburger, Dagobert Lindlau und Heinz-Klaus Mertes, Löwenthal und Gert von Paczensky, zusammengekommen auf Einladung des NDR anlässlich des 40. Geburtstages von „Panorama“, der Mutter aller Politmagazine. Der Kalte Krieg war ihre große Zeit, und alle trauern sie ihr hinterher.
Es war die Zeit, in der es „klare Lager, klare Feinde“ gab, wie der heutige „Panorama“-Chef Kuno Haberbusch sagt: „Man wusste, auf welcher Seite man zu stehen hatte.“ Es gab kein Deuteln, die Rollen waren verteilt. Merseburger links, Löwenthal rechts.
Löwenthal, 20 Jahre lang Moderator des „ZDF-Magazins“, sagt: „Ich brauche nichts zurückzunehmen, kein Wort und keine Silbe.“ Die Fakten hätten immer gestimmt, sagt der Moderator, die Tendenz auch: „Ja, wir waren antikommunistisch.“ Und Merseburger, „Panorama“-Chef in den heißen 70ern, sieht sich bei allen politischen Gegensätzen heute genauso bestätigt: „Ich habe im Nachhinein genauso Recht behalten wie Löwenthal.“
Die alten Kämpfer, sie verdienen dieses Attribut. Wer zu ihrer Zeit politische Magazine im Fernsehen machte, musste vor allem Rückgrat und Stehvermögen haben, gegen die Fernsehdirektoren, gegen die Intendanten, gegen die parteipolitisch besetzten Rundfunkräte. Panorama-Mitbegründer Gert von Paczensky wurde durch seine regierungskritischen Sendungen in den 60ern zum meistgehassten Fernsehgesicht der Konservativen. „Der Spitzbart muss weg“, forderte die Bild-Zeitung – und meinte nicht etwa den amtierenden DDR- Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, sondern Paczensky. Als der dann später tatsächlich gehen musste, hatte „Panorama“ auf ewig seinen Ruf als linkes Magazin weg.
Die Attacken aus der Politik waren regelmäßige Begleiter der Politmagazine. „Wir mussten immer jedes Wort auf die Goldwaage legen, weil es sonst wieder Protest hagelte“, erinnert sich Merseburger.
Mit fingierten Beschwerdebriefkampagnen an den Sender arbeiteten die Parteien, um Druck auf die kritischen Magazinjournalisten auszuüben, der Intendant wurde stets direkt antelefoniert, sagt Dagobert Lindlau, in den 60ern für „Report München“ verantwortlich. Für sein Baden-Badener „Report“-Pendant Franz Alt, der auf Drängen der CDU gehen musste, gab es sogar eine Solidariätsdemo durch die Baden-Badener Innenstadt, und selbst der stets linientreue CSU-Mann Heinz Klaus Mertes ist noch heute stolz darauf, dass „es die größten Pogrome im Rundfunkrat des Bayrischen Rundfunks wegen zweier Beiträge von mir gab“.
Und heute? „Ich habe seit fünf Jahren keinen einzigen Beschwerdeanruf von einer Staatskanzlei bekommen“, bekennt Haberbusch und sagt damit mehr über den aktuellen Stellenwert der Politmagazine als tausend Quoten. „Vielleicht werden wir einfach nicht mehr für wichtig genommen“. Ein Indiz: Heute sind die Politikmagazine nur noch „Quotengaranten für uns Privatsender“, wie Sat.1-Chefredakteur Jörg Howe das in gewohnter Offenheit nennt. Wenn bei der ARD „Panorama“ oder „Report“ laufen, steigt der Marktanteil bei Sat.1, RTL und dem Rest der privaten Konkurrenz.
Vor allem die jungen Zuschauer laufen davon, und Haberbusch zuckt mit den Schultern: „Wenn die Jugend lieber Krankenschwester Stefanie schaut als ‚Panorama‘, dann weiß ich auch nicht mehr, was ich mit dieser Jugend anfangen soll.“ An den fehlenden politischen Themen kann es nicht liegen, finden die Magazin-Veteranen. Franz Alt sagt: „Wenn Kalte Krieger Krieg machen, ist das sicher journalistisch spannend. Wenn aber Pazifisten Krieg machen wie heute, dann müsste das für Politikmagazine mindestens genauso aufregend sein.“
Die Quote hat für sie alle noch keine Rolle gespielt, „da hat uns nie jemand danach gefragt“, sagt Löwenthal. Sie fühlten sich ganz direkt für politische Agitation zuständig, ein Begriff, den Alt auch heute verteidigt: „Agitation und Kampagnen gehören natürlich zu einem Meinungsmagazin dazu. Lieber Kampagne als Langeweile, lieber Agitation als Feigheit.“
Und so wird munter weiter agitiert, getreu den alten Ost-West-Mustern und ohne allzu viel Rücksicht auf die Zeitläufte: Als Alt darauf hinweist, dass „heute, wo der Kommunismus verschwunden ist und der Kapitalismus gesiegt hat, die klaren Linien verschwimmen“, unterbricht ihn Mertes: „Wo ist der Kommunismus verschwunden? Das kann ich nicht erkennen.“ Der Kalte Krieg geht weiter.
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