Punkte für den Konsens-Kanzler

Bund und Länder sind einig über einen neuen föderalen Finanzausgleich. Auch der Solidarpakt II ist fertig. Und alle sind zufrieden. Besonders Schröder

von NICK REIMER

Den Nachrichtenagenturen war es eine Eilmeldung wert: „Finanzausgleich und Solidarpakt unter Dach und Fach“. Dem Kanzler war es ein befriedigtes, selbstbewusstes Lächeln wert: „Die Nachtsitzung hat sich gelohnt“, erklärte Gerhard Schröder den versammelten Journalisten. Jahrelang hatte der Streit ums Geld zwischen Nehmer- und Geberländern, zwischen Flächen- und Stadtstaaten, zwischen Ost, Nord und Süd getobt. Bis vors Bundesverfassungsgericht waren die Streithähne wegen des Länderfinanzausgleich gezogen. Und jetzt konnte Schröder das schier unglaubliche Fazit ziehen: „Es gibt weder Sieger noch Besiegte. Künftig werden alle mehr Geld in den Kassen haben“. Der 60 Milliarden Mark schwere Bund-Länder-Finanzausgleich ist bis 2020 neu strukturiert.

Der Kompromiss selbst ist schwieriger zu erklären als Schröders Lächeln. Ersterer ist nämlich mit Begriffen wie „Bundessonderergänzungszuweisung“ oder mit Zins- und Tilgungsraten zum „Fonds Deutsche Einheit“ verbunden. Letzteres dagegen kennen wir schon – von der Renten- und der Steuerreform; jenen vergangenen Schlachten also, aus der Schröder dank seiner „Konsenswaffe“ als Sieger hervorging. Und auch diesmal ist der Kompromiss allein dieser „Waffe“ zu verdanken.

In der vergangenen Woche waren nämlich zuerst die Finanzminister der Länder ohne Perspektive auf eine Einigung auseinander gegangen. Dann kamen ab Donnerstag die Ministerpräsidenten zusammen. „Hartes Ringen“, hieß es. Die Geberländer Hessen, Bayern, NRW und Baden-Württemberg bestanden auf ihrer Maximalforderung: Sie wollen mehr selbst erwirtschaftetes Geld behalten dürfen, weniger in den föderalen Finanzausgleich einzahlen. Die Nehmerländer dagegen suchten ihre finanzschwachen Kommunen besser zu stellen, deren Steuerschwäche – derzeit zu 50 Prozent angerechnet – künftig zu 100 Prozent in die Berechnung einzubeziehen. Allen war klar, dass dies nur zu finanzieren ist, wenn Bundesfinanzminister Hans Eichel seine Haushaltstruhe öffnet und 2,5 Milliarden Mark jährlich austeilt. Das wies Eichel zurück: „Woher soll der Bund das denn nehmen?“ Am frühen Samstagmorgen schien wieder eine Runde vergeblich gewesen zu sein: „Sitzung abgebrochen – Länder im Streit auseinander gegangen“.

Dann aber kam Schröder. Und damit die Zusage, dass der Bund tatsächlich mehr in den Länderfinanzausgleich einzahlen wird. Der Weg zum Kompromiss war frei. Die Nehmerländer kriegen ein bisschen mehr: Künftig wird die kommunale Finanzkraft zu 64 Prozent einbezogen. Das bedeutet: Länder mit vielen armen Kommunen bekommen – Länder mit vielen reichen Städten zahlen etwas mehr. Die Geberländer behalten ein bisschen mehr: Ihnen verbleiben künftig 12 Prozent mehr von den Steuern, die sie erwirtschaften.

Der Bund übernimmt im Gegenzug vom nächsten Jahr an die Zins- und Tilgungsraten für den „Fonds Deutsche Einheit“, die eigentlich die Länder zahlen müssten. Macht 6,85 Milliarden jährlich. Aber auch er bekommt etwas: Im Gegenzug zahlen die Länder 5,35 Milliarden Mark aus ihrem Umsatzsteueranteil an den Bund. Bei voller Tilgung wäre der Fonds – in dem alle Wiedervereinigungs-Sonderlasten zusammengefasst sind – im Jahr 2015 abgezahlt. Aber auch da kam der Bund den Ländern entgegen: Er streckte die Tilgung bis 2020. Die Restschuld der Länder beläuft sich dann auf 12,8 Milliarden Mark. Die – da ist Eichel großzügig – übernimmt der Bund.

Nur Sieger. Keine Verlierer. Das macht stutzig. „Wer muss denn nun für den Kompromiss bluten?“, fragt jemand. Flapsig antwortet Schröder, man solle einfach akzeptieren, „dass es eben nur Gewinner gibt“. Das Bundesfinanzministerium sekundiert: „Wir sind nicht die Verlierer.“ Tatsache aber ist, dass Eichel Zugeständnisse gemacht hat. „Was wir gemacht haben ist, lange Linien zu ziehen“, erläutert er. Übersetzt bedeutet das: Während die Länder in den nächsten beiden Haushaltsjahren deutliche Entspannung in ihren Etats registrieren können, wird der Bundesetat ab 2005 stärker belastet.

Ein Gewinner ist jedenfalls unstrittig: Schröder. Nach dem dreitägigen Verhandlungsmarathon konnte der Kanzler erklären: „Wir haben ein wichtiges weiteres Reformwerk auf den Weg gebracht“ und nachgewiesen, wie „handlungsfähig“ die Bundesrepublik sei. Wen der Kanzler mit diesem „Wir“ meint, wurde klar, als Schröder den Kompromiss als „Rundes Modell“ bezeichnete: die SPD, mit Hamburgs Oberbürgermeister Ortwin Runde, der als SPD-Verhandlungsführer agierte. Obwohl Edmund Stoiber dem indirekt widersprach – „Der Föderalismus ist der wahre Gewinner“ – muss auch er akzeptieren, dass diese Runde neuerlich klar an den Konsenskanzler ging.