Ein Brief Schröders und viel, viel Geld

Erheblicher internationaler Druck beförderte das Auslieferungsdekret der jugoslawischen Regierung

BERLIN taz ■ Die Entscheidung der Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien, den Weg für die Auslieferung von Slobodan Milošević und 15 weiteren mutmaßlichen Kriegsverbrechern frei zu machen, hat in der internationalen Gemeinschaft große Anerkennung gefunden. Mit dem Dekret, das am Sonntag in Kraft trat, wurden in Belgrad bisher vorgebrachte verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Auslieferung überstimmt. Als Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen war Jugoslawien ohnehin gehalten, mit Den Haag zusammenzuarbeiten.

Das Dekret iat aber zugleich als Reaktion auf den erheblichen internationalen Druck im Zusammenhang mit der Geberkonferenz zu verstehen, die Ende dieser Woche stattfinden wird. Es geht dabei um Finanz- und Projekthilfen mit einem Gesamtvolumen von zunächst 600 Millionen, später 1 Milliarde US-Dollar. Bisher hatten lediglich die USA ihre Zustimmung für das Finanzpaket von der Auslieferung Milošević’ und seiner Mitstreiter abhängig gemacht, während sich die Europäer in den letzten Monaten zurückhaltend geäußert hatten.

Doch seit vergangener Woche scheint sich die europäische Position an jene der Amerikaner angeglichen zu haben. Bei ihrem Besuch am letzten Donnerstag in Berlin ist es der Chefanklägerin des Den Haager Tribunals, Carla del Ponte, gelungen, Bundeskanzler Schröder zu einer eindeutigen Stellungnahme zu bewegen. Wie aus diplomatischen Kreisen in Den Haag und in Berlin verlautet, hat Schröder noch am Freitag einen Brief an den jugoslawischen Präsidenten Koštunica verfasst, in dem er auf die Dringlichkeit einer Entscheidung über die Zusammenarbeit Jugoslawiens mit Den Haag hingewiesen haben soll.

Da auch in anderen europäischen Hauptstädten ähnlich argumentiert wird, habe die deutsche Haltung bei dem Entscheidungsprozess in Belgrad Wirkung gezeitigt, behaupten die Quellen. Sollte die Auslieferung in den nächsten Tagen erfolgen, stünde einer positiven Entscheidung der Geberkonferenz über die Finanzhilfen nichts mehr im Wege.

Für das Tribunal in Den Haag wäre dann der Weg frei, mit dem Prozess gegen Slobodan Milošević und die 15 anderen Angeklagten zu beginnen. Für die in der Anklageschrift formulierten systematischen Menschenrechtsverletzungen im Kosovo werden sich neben Milošević auch der ehemalige Präsident Serbiens, Milan Milutinović, der ehemalige stellvertretende Premierminister Nikola Sainović, der vor allem mit dem Massaker von Racak in Zusammenhang gebracht wird, der frühere serbische Innenminister Vlajko Stojiljković und der Armeegeneral Draguljub Ojdanić zu verantworten haben (siehe Kasten unten).

Im Fall Milošević sind Bestrebungen im Gange, die Anklage auf die Kriegsverbrechen in Bosnien und Herzegowina zu erweitern. Drei der weiteren Angeklagten werden wegen der Massaker in der kroatischen Stadt Vukovar 1991 angeklagt.

In der Anklageschrift wird Milošević und seinen Mitangeklagten vorgeworfen, die gewaltsame Vertreibung hunderttausender von Kosovoalbanern, die mit der Ermordung hunderter von Menschen einherging, „systematisch“ betrieben zu haben (siehe Kasten oben). In Bezug auf das in der Öffentlichkeit bestrittene Massaker von Racak im Januar 1999 geht die Anklageschrift von der Ermordung von 45 Personen aus.

Mit beigetragen zu der positiven Entscheidung der jugoslawischen Regierung, in Zukunft mit dem Tribunal in Den Haag zusammenzuarbeiten, hat ein Sinneswandel in der serbischen Öffentichkeit. Immer mehr Details über die Verbrechen im Kosovo wurden über serbische Medien öffentlich. So wurden die Überbleibsel von Leichen unter dem Asphalt einer Straße und Massengräber von Kosovoalbanern vor den Toren Belgrads gefunden. Ein ehemaliger Armeeangehöriger sagte aus, er habe ein Dutzend Mal Lastwagen mit Leichen aus dem Kosovo zu einem Schmelzwerk nach Bor gebracht. Hinzu kommt, dass in den Massenmedien Dokumentationen über die vorausgegangenen Kriege veröffentlicht werden, die der Propaganda des damaligen Regimes widersprechen. In der serbischen Öffentlichkeit hat die Aufarbeitung der Geschichte begonnen, was wiederum Zeugen ermutigt, über die Verbrechen auszusagen.