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„Demagoge? Ich bin Dialektiker“

„Die CDU war die geeignetste Partei, um die staatliche Einheit herzustellen. Sie ist unfähig zur inneren Einheit.“

Interview JENS KÖNIG und ROBIN ALEXANDER

taz: Fangen wir doch gleich mal mit den Vorwürfen an. Sie sind ein Entertainer, Herr Gysi.

Gregor Gysi: Dieser Vorwurf wird hauptsächlich von denjenigen erhoben, die ihre Humorlosigkeit mit Ernsthaftigkeit verwechseln. Politik wird für die Bevölkerung doch nur dann attraktiv, wenn man sich selbst nicht so wichtig nimmt, und dazu gehört ein gewisses Maß an Selbstironie und Unterhaltung.

Sie sind ein Demagoge.

Absurd. Was ist daran demagoisch, wenn man versucht, die Leute von sich und seiner Politik zu überzeugen? Gysi ist Dialektiker – das akzeptiere ich.

Sie sind ein Populist und wissen nicht, wie man einen Haushalt saniert.

Natürlich bin ich kein Finanzpolitiker. Na und? Für einen Neuanfang in Berlin braucht man vor allem Leute, die politische Vorstellungen von dieser Stadt haben. Mal abgesehen davon, dass ich mich in den letzten elf Jahren mit Haushaltsfragen mehr beschäftigt habe als Sibyll Klotz oder Frank Steffel.

Sie sind nur das Feigenblatt für Ihre langweilige, reaktionäre Partei.

Dass Führungsfiguren nicht identisch mit ihrer Partei sind, ist ja nicht gerade eine bahnbrechende Erkenntnis. Schauen Sie sich doch mal Gerhard Schröder oder Joschka Fischer an. Die PDS eine langweilige Partei? Bitte schön. Aber so spannend wie die anderen ist sie allemal. Die PDS reaktionär? Nein. Aber sie hat zweifellos einen konservativen, kleinbürgerlichen Teil.

Sie sind ein Salonkommunist.

Sonst noch was?

Wir können es auch mit den Worten von Helmut Kohl sagen: Sie sind ein rot lackierter Faschist.

Das hat Kohl nicht über mich gesagt. Davor würde er sich auch hüten. Mit dem Kurt-Schumacher-Satz von den rot lackierten Faschisten will er die PDS als Ganzes beleidigen und die Sozialdemokraten ins Wanken bringen

Sie sind ein Stasi-Spitzel.

Das war ich weiß Gott nie. Das ist auch durch mehrere Gerichtsurteile bestätigt worden, aber das scheint einige Kämpfer der Rechtsstaatlichkeit nicht zu interessieren. Wissen Sie, auf diese alten Kämpfe lasse ich mich nicht mehr ein.

Sie haben die Vorwürfe gehört. Und jetzt verraten Sie uns noch mal, warum Sie Regierender Bürgermeister von Berlin werden wollen.

Ich hänge an Berlin. Ich lebe seit 53 Jahren in dieser Stadt, ich habe eine Affinität zu ihr. Meine Familie lebt seit über sieben Generationen hier, übrigens vorwiegend in Neukölln. Ich kenne die wechselvolle Geschichte Berlins. Ich will einfach nicht, dass diese Stadt weiter provinziell vor sich hin wurschtelt und vor lauter Filz verkommt.

Sie wollen Berlin retten?

Es geht mir um die Vereinigung dieser Stadt, und die wird es ohne die PDS nicht geben. Es darf nicht länger so sein, dass etwa 40 Prozent der Ostberliner ausgegrenzt sind von der Teilhabe an der Regierungsverantwortung. Erst wenn Berlin vereinigt ist, kann aus ihr eine europäische Metropole werden.

Und das geht nicht ohne Gysi?

Die PDS braucht ein bekanntes Gesicht, um Ängste ihr gegenüber abzubauen, vor allem im Westen. Ich fühle mich verpflichtet, durch meine Kandidatur ein Zusammengehen von SPD und PDS nach den Wahlen zu erleichtern

Sie wollen nicht etwa nur Senator, sondern gleich Regierungschef werden. Sind Sie größenwahnsinnig?

Nein. Wenn über 30 Prozent der Berliner sagen, sie wünschen sich Gysi als Regierenden Bürgermeister, dann muss ich um diesen Posten auch kämpfen. Es ist ein Angebot: Wer mich als Bürgermeister will, der muss dafür sorgen, dass die PDS stärker wird als die SPD.

Die Sozialdemokraten wählen nie einen Regierenden Bürgermeister von der PDS.

Natürlich würden sie das tun. So viel verstehe ich inzwischen von Politik. Die SPD würde notgedrungen eher eine Koalition mit der PDS mit mir als Regierungschef akzeptieren. Die Wiederauflage einer großen Koalition wäre ihr Untergang.

Aber Ihre Kandidatur hat die tote CDU doch erst wieder zum Leben erweckt. Was hat die Partei Ihnen dafür geboten: Geld oder die Ausicht auf einen fröhlichen Wahlkampf mit Kohl?

Geld, viel Geld. Ich habe es auch angenommen und in Liechtenstein gebunkert. In Wirklichkeit hat die CDU zur Zeit aber weder Geld noch Frohsinn.

Ist der Lagerwahlkampf keine reale Gefahr für den Neuanfang in Berlin?

Natürlich ist er das, aber doch nicht wegen der PDS. Wir haben die CDU nicht wieder zum Leben erweckt, sondern sie völlig durcheinander gebracht. Sie konnte sich in ihrem militanten Antikommunismus nicht vorstellen, dass Wowereit sich mit Hilfe der PDS zum Bürgermeister wählen lässt. Die CDU hat noch nicht begriffen, welche Zeiten vorbei sind und welche heranbrechen. Gucken Sie sich doch mal das Theater um die Kandidatenkür von Frank Steffel durch Klaus Landowsky und Helmut Kohl an. Absurd. Gerade in diesen Tagen habe ich viel über die CDU gelernt.

Was?

Die CDU war sicher die geeignetste Partei, um die staatliche Einheit Deutschlands herzustellen. Aber sie ist kulturell und mental außerstande, die innere Einheit des Landes zu bewerkstelligen. Sie kann einfach nicht akzeptieren, dass dazu Bürger gehören, die aus dem Osten kommen und die DDR nicht nur ablehnen. Wer sich ihrem Weltbild nicht unterordnet, ist in ihren Augen nicht vereinigungstauglich. Daraus erwächst für SPD und PDS eine große Aufgabe.

Ausgerechnet die PDS als Partei der Einheit?

Ich bin inzwischen davon überzeugt, das die innere Einheit Deutschlands nur von einem Mitte-links-Bündnis hergestellt werden kann. Sollte sich das in Berlin bestätigen, wäre es für die Entwicklung unserer Gesellschaft von herausragender Bedeutung. Scheitern SPD und PDS jetzt daran, werden wir das mit der inneren Vereinigung noch mal um eine Generation verschieben müssen.

Ist das nicht vermessen: Ein ehemaliges SED-Mitglied will Regierender Bürgermeister in der Stadt werden, in der die Mauer stand?

Vielleicht liegt ja gerade darin die Chance zur Vereinigung Berlins: dass endlich einmal die Westberliner einen Ostdeutschen an der Spitze ihrer Stadt akzeptieren, weil sie ihn für demokratisch gesinnt, tolerant und libertär halten und weil sie davon überzeugt sind, dass er die Stadt verantwortlich führen würde – obwohl er aus der DDR kommt und Mitglied der SED war.

Bei der Ankündigung Ihrer Kandidatur haben Sie bereits eine Art Regierungserklärung abgegeben. Haben Sie schon eine leise Ahnung, wie das alles gehen soll: Berlin vereinigen, den Filz beseitigen, die Stadt sanieren?

Soll ich mich jetzt etwa zur Zukunft einzelner landeseigener Unternehmen äußern? Das werde ich erst dann tun, wenn ich mich damit im Detail beschäftigt habe.Was Berlin in den letzten zehn Jahren fehlte, war eine Vision für diese Stadt. Die habe ich. Die Details erarbeite ich mir gerade.

Wie macht man Berlin denn zu einem Gemeinschaftsprojekt? Das klingt sehr abstrakt.

Erstens müssen im nächsten Senat mehr Senatoren aus dem Osten sitzen. Zweitens brauchen wir Struktur- und Verkehrsprojekte, die Schluss machen mit der Aufteilung Berlins in Ost und West. Die Frage darf nicht mehr lauten, ob die Stadt zwei Opern im Osten und eine im Westen, sondern ob Berlin insgesamt drei Opern braucht. Die Antwort heißt übrigens ja. Und schließlich muss Berlin im Bundesrat deutlich machen, dass die Hauptstadt der Motor für die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West ist.

Berlin ist mit 70 Milliarden Mark verschuldet. Da werden solche symbolischen Schritte nicht reichen.

Das ist mir auch klar. Aber Sie werden von mir jetzt nicht ernsthaft einen ausgefeilten Haushaltsplan erwarten. Meine Eckpunkte habe ich bereits klargemacht. Berlin muss seine Subventionsmentalität überwinden, aber das Sparen muss sozial gerecht erfolgen. Wir müssen über Privatisierungen nachdenken, beispielsweise bei einem Teil der Wohnungsbaugesellschaften, wobei man den Mietern die Bildung von Genossenschaften anbieten sollte. Die öffentliche Verwaltung der Stadt muss gestrafft werden. Kleine und mittelständische Unternehmen brauchen mehr Chancengleichheit.

„Die CDU hat mir für einen Lagerwahlkampf Geld geboten, viel Geld. Ich habe es angenommen und in Liechtenstein gebunkert.“

Wird es dabei auch betriebsbedingte Kündigungen im öffentlichen Dienst geben?

Es gibt bessere Möglichkeiten. Bis 2010 werden 30.000 Mitarbeiter den öffentlichen Dienst altersbedingt verlassen. Nutzen wir diesen Umstand für eine Verwaltungsreform, können wir die Personalkosten um gut eine Milliarde Mark absenken.

Sparen, privatisieren, Abbau von Subventionen – das soll ausgerechnet mit der Staatspartei PDS gehen?

Mit mir wird das gehen. Und die PDS in Berlin hat schon länger entschieden, diesen Weg zu gehen.

Ist die PDS moralisch überhaupt reif für eine Regierung?

Natürlich muss die PDS mit ihrer Vergangenheit brechen, ohne Wenn und Aber. Ein ausreichender Teil der Partei hat das bereits getan. Dieser Bruch würde aber noch radikaler werden, wenn die PDS als sozialistische Partei Regierungsverantwortung in einer kapitalistischen Metropole übernähme.

Eine Regierung ist doch keine therapeutische Veranstaltung.

Aber jede Partei wächst mit ihren Aufgaben. Sie verändert sich in einer Regierung. Wenn die PDS auch Verantwortung für den Westteil der Stadt übernähme, würden einige Ewiggestrige in der Partei mit ihren ideologischen Positionen weiter marginalisiert.

Proben Sie im Berliner Senat in Berlin schon für 2002 oder 2006, für den Auftritt mit Gerhard Schröder auf der großen Bühne?

Nach der Berlin-Wahl ist alles offen. Trotzdem halte ich ein Bündnis der SPD mit der PDS auf Bundesebene 2002 für unrealistisch. Für 2006 schließe ich eine solche Koalition nicht aus. Eine Mitte-links-Option halte ich prinzipiell für wünschenswert.

Schröder hat die Grünen zum Kellner degradiert und kleinregiert. Haben Sie nicht Angst, dass der PDS auf lange Sicht das gleiche Schicksal droht?

Warten wir’s mal ab. Aber selbst wenn es so kommen sollte, hat die PDS keine andere Wahl. Soll sie etwa eine Koalition nur deshalb verweigern, weil sie Angst hat, bei der nächsten Wahl Stimmen zu verlieren? Damit würde sich die PDS zum Selbstzweck degradieren.

Ist das die wahre historische Mission Gregor Gysis: Aushilfskellner von Gerhard Schröder?

Für diese Art von Dienen bin ich ziemlich ungeeignet.

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