: Der eruptive Schöne
Der philippinische Vulkan Mount Mayon treibt zum wiederholten Male tausende Menschen in die Flucht
Jetzt speit er wieder und grollt. Seit Sonntagmittag spuckt der philippinische Vulkan Mount Mayon glühend rote Lavafontänen, Gesteinsbrocken und Asche kilometerweit in die Luft. Seine Abhänge herunter strömen heiße Glut und Geröll. Donnernd treibt der explosive Berg 25.000 Menschen, die an seinem Fuße leben, in die Flucht. Über seinem Gipfel steht eine kilometerhohe Aschesäule, die die Umgebung mit einer schwarzen Schicht bedeckt.
Schon seit Januar rechneten die Experten des Philippinischen Instituts für Vulkanologie und Seismologie mit einer Eruption des rund 330 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Manila gelegenen Mayon. Zuletzt war er erst im Februar vergangenen Jahres ausgebrochen und hatte damals 80.000 Anwohner vertrieben. Zum Glück kam damals niemand zu Tode. Denn die Katastrophenschutzorganisationen sind dort bereits eingespielt. Zudem ist der Mayon einer der am intensivsten überwachten Berge der Welt.
Der Mount Mayon ist nicht nur der aktivste der 37 philippinischen Vulkane, von denen der 1991 ausgebrochene Pinatubo der bekannteste sein dürfte, sondern gilt wegen der perfekten Symmetrie seines 2.467 Meter hohen Kegels als der schönste des Landes, wenn nicht gar der Welt. Schon der Name verkörpert sein ästhetisches Äußeres: Mayon ist eine Ableitung des Wortes „magayon“, das in Bicolano, der regionalen Sprache, „schön“ heißt.
Der Legende nach soll Magayon aber auch der Name eines Onkels einer wunderschönen Prinzessin gewesen sein. Sie lebten beide auf dem Berg. Onkel Magayon soll die Schöne so streng behütet haben, dass niemand es wagte, um ihre Hand anzuhalten. Doch eines Tages sei ein mutiger Krieger auf die junge Frau aufmerksam geworden, habe sich ein Herz gefasst und sei zu ihr vorgedrungen. Er konnte die Schöne überreden, mit ihm zu kommen. Als die beiden auf der Flucht vor dem rasenden Onkel die Götter um Hilfe anflehten, sei es plötzlich zu einem Erdrutsch gekommen, der den Wütenden unter sich begraben habe. Seitdem sagen die Anwohner des Berges, dass sich Magayons Ärger einen Weg durch die Gesteinsmassen bahnt, wenn der Vulkan ausbricht.
Demnach muss Onkel Magayon immer noch vor Ärger kochen. Denn seit Beginn der Aufzeichnungen 1616 brach der Mount Mayon schon 47 Mal aus. Zuletzt forderte 1993 seine überraschende Eruption gar 70 Todesopfer. Am Fuße des Berges zeugt noch heute die schwarze Ruine eines Kirchturms im spanischen Kolonialstil von der größten Katastrophe, die der schöne Berg je auslöste. Am 1. Februar 1814 begrub der Mayon die Kleinstadt Cagsawa unter sich. 1.200 Menschen kamen ums Leben. Seitdem ragt nur die obere Spitze des Kirchturms wie ein Mahnmal aus der längst erhärteten Lava. Dessen ungeachtet zieht der eruptive Schöne immer wieder zahlreiche Bergsteiger und Touristen an.
Auch die ersten Anwohner wagen sich jetzt trotz der Warnungen der Behörden schon wieder zurück in ihre Häuser in die Gefahrenzone. „Es ist noch nicht vorbei“, warnt der Chef der philippinischen Vulkanologen, Ernesto Corpuz, die halbe Million Menschen, die in der Umgebung des Mayon wohnen. „Wir erwarten weitere große Eruptionen in den nächsten Tagen oder Stunden.“ SVEN HANSEN
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