: Deiche bauen statt Steine werfen
Krawalle überlagern bei internationalen Konferenzen die Anliegen von Globalisierungsgegnern. Ein Ausweg aus dieser Gewaltfalle ist nicht einfach
Interview DANIELA WEINGÄRTNER
taz: Martin Rocholl, Sie vertreten die Umweltorganisation „Friends of the Earth“ in Brüssel. Beim EU-Gipfel Mitte Juni in Göteborg haben tausende friedliche Globalisierungsgegner demonstriert und Veranstaltungen durchgeführt. Hätte diese Zivilgesellschaft nicht selbst versuchen müssen, die „Krawalltouristen“ zu isolieren?
Martin Rocholl: Ich glaube, diese Leute waren bereits sehr stark isoliert. Die haben ja nicht aus unseren friedlichen Aktionen heraus agiert, sondern an völlig anderer Stelle. Andererseits müssen wir uns klar sein, dass diese scharfe Trennung auch Chancen verbaut. Es gibt eine Menge junger Leute, die sich im Umfeld dieser Gewalttäter bewegen und die wir überzeugen wollen, dass friedliche Demonstrationen auf lange Sicht effektiver sind.
Wie wollen Sie es schaffen, die auf Ihre Seite zu ziehen?
Wir wollen die Tradition von gewaltfreiem Widerstand wieder stärker aufleben lassen – vielleicht sogar mit einer europaweiten Kampagne. Mit fantasievollen und wirksamen Demonstrationen kann man junge Leute begeistern. Bei den Klimaverhandlungen in Den Haag haben wir mit 6.000 Leuten einen Deich rund um das Verhandlungsgebäude gezogen, bei der nächsten Klimakonferenz am 21. Juli in Bonn planen wir ein dreißig Meter langes Rettungsboot auf dem Rhein zu bauen. Das sind Aktionen, die in Presse und Öffentlichkeit Aufmerksamkeit finden.
Haben Sie mit dieser Deich-Aktion Leute eingebunden, die sonst vielleicht Steine werfen würden?
Schwer zu sagen. Direkte Kontakte zu den Steinewerfern haben wir nicht. Aber das breitere Umfeld von Leuten, die sich radikaler mit dem System auseinander setzen, haben wir dort erreicht.
Nach den Erfahrungen von Seattle, Nizza und Göteborg rüsten die Gipfelveranstalter kräftig auf.
Das ist ein sehr gefährlicher Weg. Man schränkt damit ja gleichzeitig die Möglichkeiten zum friedlichen Protest ein. Man könnte die Vorfälle sogar zum Vorwand nehmen, um die friedlichen und berechtigten Anti-Globalisierungsproteste in Misskredit zu bringen. Außerdem vergrößert sich so der Abstand zwischen Regierenden und Bevölkerung nur noch weiter.
Das Dilemma ist doch: Ein paar wenige sorgen dafür, dass wichtige Anliegen diskreditiert werden. Gipfelteilnehmer werden mehr und mehr vom „richtigen Leben“ abgeschottet, Medienvertreter können entweder „drinnen“ oder „draußen“ berichten. Wie kann man diese Entwicklung stoppen?
Das ist eine bedenkliche Entwicklung, die allmählich Richtung Hofberichterstattung geht. Ich konnte in Göteborg nur mit den Medien sprechen, weil ich als Journalist getarnt ins Pressezentrum gelangt bin. Den Nichtregierungsorganisationen (NGOs) müsste erlaubt werden, mit einer kleinen Delegation im Pressezentrum selbst präsent zu sein. Die schwedische Präsidentschaft hat das aber abgelehnt. Wir müssten einen Raum haben, wo wir ebenso wie die fünfzehn Länder jederzeit unsere Pressekonferenzen abhalten und den friedlichen Protest von der Straße direkt zu den Journalisten hinbringen könnten. Sonst passiert, was einer der Gewalttäter ja auch in die Kamera gesagt hat: Die mit ihren friedlichen Demonstrationen werden eh nicht wahrgenommen. Die einzige Möglichkeit, in die Presse zu kommen, ist, wenn wir hier Steine schmeißen.
Romano Prodi hat in Nizza vorgeschlagen, mittelfristig Gipfeltreffen nur noch in Brüssel abzuhalten. Ist das etwa eine Idee, die weiterhelfen könnte?
Diesen Vorschlag höre ich mit gemischten Gefühlen, zumal die belgische Polizei nicht gerade der einfachste Partner ist. Der Abstand der Bürger von der Europäischen Union wird dadurch noch größer. Auf der anderen Seite haben die Menschen in Göteborg jetzt beim letzten Gipfel so üble Erfahrungen gemacht, dass das nur noch kontraproduktiv ist.
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