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USA lenken bei Aidsstreit ein

Washington zieht seine Patentrechtsklage gegen Brasilien vor der Welthandelsorganisation zurück. Jetzt kann Brasilien problemlos billige Medikamente für Aidskranke herstellen. Das Land wird ein Wortführer bei der weltweiten Aidsbekämpfung

aus Sao Paulo GERHARD DILGER

José Serra genoss seinen Triumph gelassen: „Die Regierung Bush hat ihre Position revidiert. Ich glaube, das ist gut für ihr Land“, sagte Brasiliens Gesundheitsminister am Rande des UN-Aidsgipfels in New York. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass die USA vor der Welthandelsorganisation WTO ihre Beschwerde gegen Brasiliens Patentrecht zurückziehen und so einen fünfmonatigen Disput beenden will.

Brasiliens Patentgesetz sieht die Möglichkeit einer „Zwangslizenzierung“ vor, nach der unter bestimmten Voraussetzungen die Patente ausländischer Pharmaunternehmen gebrochen werden können, um die Herstellung von Billigmedikamenten („Generika“) im Lande selbst zu ermöglichen. Nun hat sich Brasilien verpflichtet, die USA in einem solchen Fall vorab zu informieren – eine Minimalkonzession, die es Washington erlaubt, das Gesicht zu wahren.

In New York sprach José Serra von einem „Sieg des gesunden Menschenverstandes“. Die Pharmakonzerne hätten sich zwar um die Entwicklung neuer Präparate verdient gemacht, aber bei Aidsmedikamenten hätten sie mit „Gewinnspannen um die 1.000 Prozent“ operiert.

Gleichzeitig kündigte der Minister und wahrscheinliche Präsidentschaftskandidat an, seinen Druck auf den Multi Hoffmann-LaRoche zu verstärken. Im Rahmen seines Aidsprogrammes gebe Brasilien jährlich 150 Millionen Mark allein für das von dieser Firma hergestellte Präparat Nelfinavir aus, ein zentraler Bestandteil des so genannten Aidscocktails, mit dem Kranke behandelt werden. Wenn Hoffman-LaRoche seinen Preis nicht bald senke, werde Brasilien mit der Produktion eines Generikums beginnen.

Die gleiche Drohung hatte Ende März beim US-Multi Merck gewirkt: Das Unternehmen willigte ein, die Preise für seine Aidsmedikamente Efavirenz und Indinavir um jeweils 59 und 65 Prozent zu senken.

Bereits heute stellt Brasilien acht der zwölf retroviralen Präparate des international gebräuchlichen Aidscocktails in staatlichen Labors her. Daher ist die Regierung in der Lage, allen bisher registrierten HIV-infizierten oder aidskranken PatientInnen eine kostenlose Behandlung zu garantierten. Etwa 100.000 BrasilianerInnen haben Zugang zu dem Medikamentenmix, dessen Kosten sich derzeit auf jährlich 3.800 Dollar belaufen. In den USA kostet eine vergleichbare Behandlung etwa dreimal so viel.

Überhaupt hat Brasilien Erfolg, was Aids angeht. Noch 1994 hatte die Weltbank prognostiziert, dass sich bis zum Jahr 2000 gut 1,2 Millionen BrasilianerInnen mit dem HI-Virus infiziert haben würden – in Wirklichkeit waren es dann gerade halb so viele. Seit drei Jahren bleibt die Zahl von jährlich rund 20.000 Neuinfektionen konstant. In São Paulo starben im vergangenen Jahr 54 Prozent weniger Menschen an Aids als 1995.

All dies ist ein Ergebnis von Aufklärungskampagnen: 1986 verwendeten unter fünf Prozent aller jungen Brasilianer beim ersten Geschlechtsverkehr Kondome, 1999 sollen es fast 50 Prozent gewesen sein. Dank dieser Politik, die auf Druck von Schwulengruppen hin eingeleitet wurde, ist Brasilien in der internationalen Aidsdebatte zu einem Wortführer avanciert.

Der brasilianische Aidsaktivist Mário Scheffer warnt jedoch davor, den jüngsten Erfolg überzubewerten: Der jetzige Rückzug der USA sei die „diplomatischste Lösung“, doch man müsse die weitere Entwicklung abwarten. Die Multis planten bereits die Gegenoffensive: „Nun werden sie ihre Medikamente in Brasilien zum Schleuderpreis anbieten, um dem Patentbruch zuvorzukommen.“ Nichts wünscht sich Minister Serra sehnlicher.

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