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Der Boom macht schlapp

von KATHARINA KOUFEN, NICK REIMER und HANNES KOCH

Das Rumpsteak für 38 Mark steht auf der Karte – auf den Tisch kommt es selten. Viele Gäste, auch in Mittelklasse-Restaurants, suchen gegenwärtig auf den vorderen Seiten der Speisekarte, wo die billigen Gerichte verzeichnet sind. Das bereitet der Gastronomie erhebliche Probleme, die Branche steckt in einer massiven Flaute.

„Die Verbraucher halten sich sehr stark zurück“, sagt Ökonom Jochen Schmidt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Den Bundesbürgern sitzt das Geld nicht mehr so locker wie noch im vergangenen Jahr. Der Crash am Aktienmarkt, die hohen Energiepreise und auch die gestiegenen Fleischpreise im Zuge der BSE-Krise sind wesentliche Ursachen. Im Vergleich zum Jahr 2000 steigen die Ausgaben der privaten Haushalte zwar immer noch an, aber lange nicht mehr so stark wie ursprünglich erwartet. Im ersten Quartal 2001 nahmen die Ausgaben um 0,5 Prozent zu, während die Wirtschaftsforschungs-Institute in ihrem Frühjahrsgutachten fürs ganze Jahr 2,2 Prozent prognostiziert hatten. Das bekommt die Gastronomie unmittelbar zu spüren. Um rund vier Prozent sanken die Einnahmen der Gaststätten- und Beherbergungsbranche zwischen Januar und April 2001.

Nicht nur diese Kurve weist nach unten. Einer schlechten Nachricht zur Wirtschaftsentwicklung scheint gleich die nächste zu folgen. Auch der Einzelhandel klagt über sinkende Umsätze. „Dort wäre eine Stagnation in diesem Jahr noch ein gutes Ergebnis“, sagt DIW-Forscher Schmidt. Wie der Geschäftsklima-Index des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo) zeigt, gehen die Erwartungen vieler Unternehmer deutlich zurück.

Entgegen den gängigen Klischees sparen die Deutschen offenbar auch beim Auto. Das zeigt die Zurückhaltung bei deren Anschaffung und die Reaktion der Händler: Die bestellten in den ersten fünf Monaten dieses Jahres sechs Prozent weniger Wagen deutscher Herkunft als im Vorjahr. Das Gute daran: Die bundesweite Blechschlange wächst erstmals seit Jahren wieder langsamer. Ging der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) Anfang des Jahres noch von dreieinhalb Millionen Neuzulassungen aus, rechnet er inzwischen noch mit 3,2 Millionen. Doch gehen die Aufträge mittelfristig zurück, sinkt die Kapazitätsauslastung der Firmen, die deshalb weniger Arbeitskräfte brauchen. Aus vielen Teilen entsteht ein Ganzes. Alle Wirtschaftsforscher reduzieren mittlerweile ihre Wachstums-Prognosen für das laufende Jahr. Gestern erst setzte das Ifo-Institut eine neue Tiefstmarke: nur noch 1,2 Prozent Wachstum in 2001. Wann auch diese Zahl nach unten korrigiert wird, scheint nur eine Frage der Zeit zu sein.

Zum gebremsten Wirtschaftswachstum trägt auch die Krise der Bauindustrie ganz wesentlich bei. Ost- wie Westdeutschland – die Branche erlebt eine schwere Krise. „In der jetzigen Situation handelt es sich nicht um das gewohnte Auf und Ab. Wir stecken in einem tiefen Tal“, schätzt Konrad Hinrichs, Chef des zweitgrößten deutschen Baukonzerns Philipp Holzmann.

Die jüngste Umfrage des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie ergab, dass auch im Mai die sonst übliche saisonale Belebung ausblieb. Die Folge: Die Auftragsbestände haben sich weiter verringert. Im Westen Deutschlands haben die Bauunternehmen jetzt noch Arbeit für „unter zwei Monate“, im Osten von leicht über einem Monat.

Nach dem nahezu grenzenlosen Optimismus der vergangenen Jahre hat sich das Bild völlig gewandelt. Das britische Wirtschaftsmagazin Economist argwöhnt bereits, dass die drei entscheidenden Wirtschaftsblöcke USA, Europa und Japan erstmals seit Jahrzehnten gleichzeitig in die Rezession rutschen könnten (siehe Kasten). Was Japan angeht, so ist die Rezession bereits da: Im ersten Quartal diesen Jahres nahm das Bruttoinlandsprodukt um 0,8 Prozent ab, und das zweite wird noch schlechter. In den USA sinkt das Wachstum im zweiten Quartal mittlerweile Richtung null. Und auch für Deutschland warnt DIW-Chef Klaus Zimmermann mittlerweile vor der Möglichkeit einer Rezession.

Aber ist die Entwicklung wirklich so dramatisch? Droht die Krise, verursacht auch durch die zunehmend engen Verflechtungen der Wirtschaftszentren, das Wachstum in Deutschland unter null zu drücken?

Es gibt auch gegenläufige Tendenzen. So stehen die Mercedes, Volkswagen, BMW oder Porsche in Übersee weiterhin hoch im Kurs – nicht zuletzt wegen des günstigen Euro-Wechselkurses. Die ausländischen Aufträge für die Autoindustrie nahmen von Januar bis Mai um 13 Prozent zu. Dass die Auslandsnachfrage derart boomt, ist ein gutes Zeichen: Die Auftragseingänge von heute schlagen sich in ein paar Monaten in den Exportzahlen nieder.

Von Einzelhandel und Gastronomie einmal abgesehen, gehen die Zuwächse zwar auch im gesamten Dienstleistungssektor zurück, doch „die Dramatisierung ist mir völlig unverständlich“, erklärt Volker Nickel vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft. Natürlich leide seine Branche unter dem Zusammenbruch des Internetbooms und den sinkenden Werbeausgaben vieler Betriebe. „Aber 2000 war ein Ausnahmejahr“, so Nickel – die Werbeumsätze schossen mit plus 5,6 Prozent in die Höhe. Deshalb würde Nickel selbst eine Stagnation in diesem Jahr nur als „Normalisierung“ verbuchen.

Ein weiteres Hoffnungszeichen blinkt in Ostdeutschland. „Trotz weltweiter Konjunkturschwäche verstärkt sich das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktion im Jahr 2001“, urteilt das Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Während die Wirtschaftsforscher insgesamt ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von anderthalb Prozent erwarten, legt die ostdeutsche Wirtschaft um 2,5 Prozent zu.

Dass das Wachstum in einer Rezessionsphase unter null fällt, ist deshalb erst mal nicht zu erwarten. Trotzdem fällt die Bilanz ernüchternd aus. Stellvertretend für andere schreibt das Ifo-Institut: „Mit einer Rezession wird nicht gerechnet, allerdings ist die deutsche Wirtschaft zurzeit und auch im Jahresdurchschnitt nahe einer Stagnation.“

In jedem Fall bringt diese Entwicklung die Bundesregierung unter großen Druck. Die Ansage von der Reduzierung der Arbeitslosenzahl auf 3,5 Millionen ist nicht mehr zu halten. So muss die Regierung handeln. Zwar hatte Kanzler Gerhard Schröder in den letzten Tagen immer wieder vehement ein Konjunkturbelebungsprogramm abgelehnt. Gestern aber wurde bekannt, dass die Regierung zumindest die Not leidende Bauwirtschaft in Ostdeutschland unterstützen will. Dort soll rund eine Milliarde Mark für ein Programm zur Stützung der Krisenbranche zur Verfügung gestellt werden. Der Kanzler wolle seine Sommerreise durch die ostdeutschen Länder nicht mit leeren Händen bestreiten, sagte ein SPD-Abgeordneter.

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